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Ein Einsatz für
die Geister der
Maßlosigkeit

Überzeugende Compagnie Charivari

Von Annemargret Ohlig
(Text und Fotos)
Senne (WB). Zum Abendvergnügen im Walde hatte der Kulturkreis Senne geladen - ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt! Vielmehr war's die »Compagnie Charivari«, das Theater-Studio der Universität Bielefeld unter der Leitung von Michael Zimmermann, die mit der hintergründigen Posse »Die beiden Nachtwandler oder Das Notwendige und das Überflüssige« des österreichischen Multitalents Johann Nestroy am Freitag in der Waldkirche oberhalb der »Waterbör« bestens unterhielt.

Bereits zum dritten Mal gaben die alten Buchenbäume im Teutoburger Wald eine zauberhafte Kulisse ab für ein sommerlich-amüsantes Theaterstück - ganz nach dem Geschmack der Jahr für Jahr zahlreicher werdenden Gäste. Mehr als 140 waren es dieses Mal. Viele von ihnen hatten noch die »Sommertheater«-Premiere von 2003 des Kulturkreises Senne mit der Charivari-Truppe und Shakespeares »Der Sturm« in bester Erinnerung. An den damaligen Erfolg knüpften die Laien-Schauspieler, Studenten der Linguistik- sowie Musik- und Kunst-Fakultäten, die sich jedes Jahr neu zu einen »Straßentheater«-Truppe zusammenfinden, jetzt mit der Nestroyschen Posse mit Gesang und Musik an.
Mit ihren vielfältigen musischen Begabungen setzten die Schauspieler auf der Waldbühne die burlesken Szenen der widersprüchlichen menschlichen Natur - zwischen Zufriedenheit und Gier auf immer noch mehr - um. Zum Amüsement der Zuschauer, die sich prächtig von den ganz und gar nicht laienhaften Darbietungen unterhalten fühlten. Die Mischung aus Schauspiel mit sparsamen Requisiten und Musik wurde mit sichtbarer Freude am Spiel und komischem Talent umgesetzt. Häufiger Szenenapplaus und anhaltender Schlussbeifall waren der Dank des Publikums für einen höchst gelungenen Theaterabend.
Dabei hatte Nestroy zu Beginn des Stücks einen der »bösen Buben«, die Lord Howard (Stefanie Dierks) um Vermögen und Leben bringen wollen, immer wieder lamentieren lassen: »Oh, es geht schief«. Nichts da. Die Compagnie-Mitglieder fanden sich bei ihrer achten von insgesamt zehn Aufführungen an dem ungewöhnlichen Schauspielort bestens zurecht und bezogen das Publikum immer wieder mit kleinen Gags in das Stück mit ein. Als Posse vordergründig dem puren Amüsement zuzuordnen, hat »Das Notwendige und das Überflüssige« auch nach 170 Jahren nichts von seiner Vieldeutigkeit eingebüßt. Die menschlichen Verhaltensweisen sind halt so und ändern sich offensichtlich nicht.
Da ist der junge Lord, der dem bitterarmen, naiven Seilermeister Faden (Ramona Kozma) mit allem Notwenigen - nicht jedoch Überflüssigem - zum Lebensglück verhelfen will. Hatte Faden ihm doch unbewusst, weil schlafwandelnd, das Leben gerettet. In dem lebensklugen Lord Wathfield (Thomas Handke), der darauf wettet, dass diese Belohnung nicht von Erfolg gekrönt sei, findet Lord Howard einen »Partner«.
Und dann sind da noch die auf ein Vermögen spekulierende Frau Brauchengeld (Jette Werner), die ihre beiden Töchter Emilia (Gülaim Ahangri) und Mathilde (Marlene Illies) an Ehemänner bringen und am liebsten meistbietend versteigern möchte, der schlagfertig-dreiste Seilergeselle Strick (Julian Hackstette), der sich pfiffig stets auf die Seite der gerade Erfolgreichen stellt, und Malvina (Carmen Schulze), die Verlobte des Lords, die der erst dann ehelichen will, wenn er seinen Lebensretter Faden glücklich gemacht hat.
Doch dieser Weg ist teuer - für den Lord; mit wachsender Gier auf Überflüssiges gespickt - bei Meister Faden; vergnüglich - für das Publikum. Stricks Ex-Freundin Babette und Bedienerin Therese (Julia Hildebrandt) sowie ein heiratswilliger, aber geiziger Amtmann (Stefan Meißner) tragen durch unüberlegtes Verhalten noch zur allgemeinen Verwirrung und Maßlosigkeit bei. Letztere lässt »Emporkömmling« Strick, der sich in tiefster Seele eigentlich nichts anderes als ein kleinbürgerliches Gück wünscht, schlussendlich scheitern. Den Ratschlag des lebensklugen Wathfield, sich zu hüten, das Überflüssige zu verlangen, ignoriert der überheblich gewordene Seiler.
Es kommt wie es kommen muss: Strick unterscheidet nicht mehr zwischen dem wirklich Wichtigen und dem blinden Durchsetzen seiner Wünsche. Und so berauben ihn die Geister der Maßlosigkeit all seines neuen Reichtums samt »gekaufter« künftiger Ehefrau. Was dramatisch scheint, wächst sich jedoch zum Happy End aus: Die wahre Liebe findet zueinander. Und Geselle Strick versucht sich zum viel belachten Schluss als Schlafwandler. Auch er findet sein Glück.
Ein bestens gelungener, sehr amüsanter Abend. Für einen Großteil des Publikums klang er nach dem schauspielerischen mit einem kulinarischen Genuss aus - bei einem Waterbör-Teller in der benachbarten Waldgaststätte.

Artikel vom 24.07.2006