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Istanbuls Weg zur Modemetropole

Junge Kreative vom Bosporus prägen neues Image - Couture statt Billigschneiderei

Von Axel Botur
Istanbul (dpa). Bescheiden war man hier lange genug, war Billigproduzent und Ideenlieferant. Die Modebranche bediente sich dankbar und rümpfte doch die Nase. Seit ein paar Jahren nun forciert die türkische Textil- und Bekleidungsindustrie einen Imagewandel, fördert junge Designer, baut erfolgreich Marken auf.
Orientalische Einflüsse und abendländische Eleganz vereint: Ein Model präsentiert ein aktuelles Kleid des Labels Balizza aus Istanbul. Foto: dpa

Die Zielsetzung ist ehrgeizig: Istanbul soll bald eine der wichtigsten Modemetropolen der Welt sein. Und während draußen im Industriegürtel die verarbeitenden Betriebe nach Wegen suchen, sich dem Druck der längst billiger produzierenden Konkurrenz aus Fernost zu erwehren, arbeiten im Zentrum des europäischen Teils der Millionenstadt die Kreativen am neuen Türkei-Modebild. Vor allem hinter den hohen Fassaden in den schicken Vierteln Tesvikiye und Nisantasi versteckt sich so manches Atelier.
Özlem Süer, eine der Favoritinnen der Istanbuler Gesellschaft, kreiert hier ihre aufwendigen Kleider. Nur ein paar Häuserblocks weiter sprechen die Schwestern Ezra und Tuba Cetin mit ihrem Label Bashqua vor allem ein junges Publikum an. Und Nej-Designerin Nejla Güvenc plant mit einem Stil aus experimentellen Schnitten und überraschenden Details gerade die Expansion ins Ausland. Um Inspirationen zu finden, müssen die türkischen Modemacher praktisch nur die Atelierfenster öffnen.
Geschichte, Kultur, Kunst, all das bietet das Land im Überfluss. Nicht allen gelingt es jedoch, dieses Erbe in eine international verständliche Handschrift zu übersetzen. Im Hang zu Opulenz, im verschwenderischen Umgang mit Details sehen Fachleute derzeit das größte Handicap auf dem Weg in die Auslagen westlicher Geschäfte. Auch dem durchaus talentierten Nachwuchs fällt es offenbar schwer, sich zurückzunehmen.
Einmal im Jahr organisiert der Istanbuler Verband der Textil- und Bekleidungsexporteure ITKIB einen Wettbewerb für Jungdesigner. Jury- Mitglied Renato Balestra, ein Altmeister der römischen Alta Moda, empfahl den zehn Finalisten der diesjährigen Veranstaltung: »Eleganz erreicht man über das Weglassen.« Ähnlich sah es Atil Kutoglu: »Es stecken oft zu viele Ideen in einem Modell, es ist wichtig ein Gleichgewicht zu finden.«
Kutoglu hat es geschafft. Der 37-Jährige zeigt seine Kollektion auf der New Yorker Modewoche zwischen Donna Karan und Ralph Lauren. Er lebt und arbeitet jedoch nicht in Istanbul, sondern in Wien. Der Weg zu internationaler Anerkennung führte in der Vergangenheit für fast alle türkischen Designer über das Ausland: Rifat Ozbek, Hussein Chalayan, Dice Kayek. Hinter Dice Kayek stehen die beiden Schwestern Ece und Ayce Ege. Ihre Mode entwerfen sie in Paris. Ist die Präsenz in einem der etablierten Zentren also unverzichtbar? Ece Ege stellt zunächst eine Gegenfrage: Wie hat es denn Jil Sander geschafft?
Auch die Hamburgerin wurde letztlich erst über den Mailänder Laufsteg weltberühmt. »Paris ermöglicht uns einen freieren Blick auf die eigene Kultur«, erklärt Ege schließlich die Vorzüge und fügt an: »Hier profitieren wir vom Austausch mit den Topdesignern aus der ganzen Welt.« Doch die Türkei als Quelle der Inspiration und ihre exzellenten Produktionsbedingungen möchte sie nicht missen.
Unbedingt in ihrer Heimat bleiben will hingegen Nejla Güvenc. »Istanbul ist Trauer, Istanbul ist Freude. Istanbul ist alt, Istanbul ist jung. Istanbul ist Hoffnung, Istanbul ist Leidenschaft, Istanbul ist Liebe«, sprudelt die Begeisterung aus ihr heraus. »Die Modeindustrie wächst jeden Tag, wird immer bedeutender, globaler. Zu den existierenden Mode-Metropolen werden sich künftig nicht nur Istanbul, sondern auch weitere Städte gesellen«, ist sich die 36-jährige Designerin sicher.
Die exquisiten Restaurants, das pulsierende Nachtleben, die edlen Boutiquen und hochmodernen Einkaufszentren sind schon heute Zeugnisse einer rasanten Entwicklung. Längst steht Istanbul auf der Reiseroute internationaler Trendspäher.
Doch das soll erst der Anfang sein. Nichts geschieht über Nacht. »Wir arbeiten weiterhin hart für unser Ziel«, setzt ITKIB-Präsident Süleyman Orakcioglu auch künftig auf Offensive und führt ein gewichtiges Argument für seine Ambitionen ins Feld. »Das Europäische und das Orientalische in einer Stadt vereint, das gibt es nur einmal auf der Welt: in Istanbul.«

Artikel vom 22.07.2006