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Natur ist nie ganz berechenbar

Obst aus Weserbergland: Äpfel, Beeren und andere Früchte von Wittrock

Von Bernhard Hertlein
Höxter (WB). »An den Erdbeeren haben wir in diesem Jahr leider nichts verdient«, sagt Klaus Wittrock. Während Höxter noch fror, konnten die süddeutschen Erzeuger allein die hohen Preise kassieren, die die Verbraucher nur für die allerersten Erdbeeren im Jahr bezahlen. Dann brachte die unmittelbar folgende Hitze eine Rekordernte mit sich, die den Preis sofort in den Keller purzeln ließ.

So ist das mit der Natur. Nie ist sie ganz berechenbar. Doch unterm Strich fährt Wittrock mit dem Standort in Höxter gut. Das Weserbergland ist vielleicht nicht so bekannt wie der Bodensee oder das Alte Land. Doch die tiefe Lage (nur 90 Meter NN), der Fluss und die Berge schaffen geradezu ideale Wachstumsvoraussetzungen. Im Mittelalter bauten die Mönche von Corvey hier sogar Weinreben an. Er schmeckte ihnen allerdings doch zu sauer. »Heute würde man ihn vielleicht als ÝtrockenÜ bezeichnen und könnte ihn damit sogar noch verkaufen.«
Gegen die Risiken der Natur sichert sich Wittrock ab, indem er auf möglichst viele Obstarten setzt. Angebaut werden Äpfel (35 Hektar), Erdbeeren (28), Zwetschgen (25), Kirschen (3), Birnen (2), Mirabellen (1) sowie Brom-, Johannis-, Him- und Stachelbeeren (insgesamt 2). Von der gesamten Ernte gehen 70 Prozent an Rewe und andere Lebensmittel-Einzelhändler. Knapp 15 Prozent werden ab Hof oder in einer der Buden verkauft, die Wittrock rund um Höxter an den Straßen aufgestellt hat. Etwa die gleiche Menge geht an die Nahrungsmittelindustrie (unter anderem Stute, Paderborn). Selbstpflücken scheint dagegen nicht mehr gefragt zu sein: »Auf diesem Weg verkaufen wir nur noch ein Fünftel dessen, was wir vor 20 Jahren abgesetzt haben.«
Gestartet ist der Betrieb 1912 mit 60 Morgen (etwa 15 Hektar). Neben Äpfeln ließen sich vor allem Zwetschgen aus Höxter gut vermarkten. Wittrocks Vater handelte auch mit den Früchten seiner Nachbarn, so dass zur Hochsaison etwa 60 bis 70 Eisenbahn-Waggons ins Ruhrgebiet oder zu den Sonnenwerken in Seesen abfuhren. Das Geschäft endete 1940 ziemlich abrupt: In jenem Winter sind fast alle Zwetschgenbäume bei Temperaturen von bis zu 30 Grad minus erfroren.
Nach dem Tod des Vaters vor 48 Jahren übernahm Klaus Wittrock selbst das Ruder. Heute beschäftigt der Obstanbau-Betrieb 15 festangestellte Mitarbeiter; dazu kommen bis zu 150 Saisonkräfte, die von der jüngsten kaufmännisch ausgebildeten Tochter Marion betreut werden. Ihre Schwester Karin steht nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Spitze der Kühlhaus Wittrock GmbH. Das Unternehmen kann bis zu 100 Tonnen täglich frosten. Die Lagerkapazität erreicht 9000 Tonnen. Hauptkunde ist Westfleisch. Außerdem führt sie noch als Franchisenehmerin den von Wittrock erbauten Höxteraner OBI-Baumarkt.
Gaby, die mittlere Tochter, die schon mit drei Jahren Apfelkerne einpflanzte, damit neue Bäume wachsen, verschlug es heiratsbedingt nach Mainz - natürlich ebenfalls in einen Obstbaubetrieb.
Ein Teil der Kühlhäuser funktioniert Wittrock zufolge nach der ULO-Technik. Dabei wird der Sauerstoffgehalt von 20,5 auf 1,5 Prozent gesenkt. In der Folge ist der Stoffwechsel der Frucht gehemmt. Die Äpfel bleiben frisch -Êso frisch, dass Wittrock jetzt mit der Ernte des Vorjahres noch gute Geschäfte macht. Dabei kommt ihm zugute, dass die Länder auf der südlichen Hemisphäre der Erde diesmal keine Rekordernten eingefahren haben; außerdem macht der hohe Euro-Kurs die Exporte nach Europa für Australier und Argentinier unattraktiv.
Die Globalisierung beeinflusst also auch einen Obstbaubetrieb wie Wittrock. Doch trotz sehr viel billiger produzierender Konkurrenz sieht der Höxteraner die Zukunft eher rosig. Die Menschen stehen auf gesunde Ernährung -Êganz nach dem Motto: »Ein Apfel am Tag hält den Arzt fern.« Dabei vertrauen sie den heimischen Erzeugern, von denen sie wissen, dass in 30 Jahren noch niemals unzulässige Rückstände von Pestiziden im Obst gefunden wurden.

Artikel vom 22.07.2006