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EU schenkt Winzern Saures ein

Erst sollen Rodungen subventioniert, dann der Anbau liberalisiert werden

Von Bernhard Hertlein
Brüssel/Bonn (WB). Der Deutsche Weinbauverband (DWV) will die Europäische Union vor einem handfesten Skandal bewahren. Nach dem von der EU-Kommission vor wenigen Tagen vorgelegten Entwurf für eine neue Weinmarkt-Ordnung sollen in fünf Jahren 2,4 Milliarden Euro für die Rodung von Rebstöcken bereitgestellt werden.

»Nach dieser Frist aber will die EU die totale Liberalisierung eintreten lassen«, erklärte DWV-Generalsekretär Dr. Rudolf Nickenig gestern im Gespräch mit dieser Zeitung. Im Klartext: Von 2010 an könnte jeder, der möchte, überall neue Wingert (Rebflächen) anlegen -Êalso selbst auf Flächen, die vorher mit hohem Subventionsaufwand stillgelegt wurden.
Von den 3,4 Millionen Hektar, die derzeit europaweit für den Weinbau zur Verfügung stehen und von denen die EU 400 000 Hektar stilllegen will, befinden sich allein 1,5 Millionen in Spanien. Deutschland ist mit 100 000 Hektar, auf denen die Trauben für neun Millionen Hektoliter Wein jährlich heranreifen, der viertgrößte Weinerzeuger in der EU. Zugleich ist die Bundesrepublik mit 13 Millionen Hektolitern größter Weinimporteur der Welt.
Die EU-Kommission begründet den als Reform getarnten subventionierten Rodungsplan mit den jährlich 500 Millionen Euro, mit denen sie bislang Nickenig zufolge die Destillation (beispielsweise für Bio-Treibstoff) subventioniert. Allerdings fließt davon allein die Hälfte nach Spanien; der Rest gehe überwiegend nach Italien und Südfrankreich. Deutsche Winzer hätten dagegen schon seit vielen Jahren keine Überschussmengen mehr in die Destillation geben müssen. Dabei kommt ihnen die steigende Nachfrage des Auslandes entgegen. Allein im vergangenen Jahr konnten die deutschen Erzeuger Wein im Wert von 495 Millionen Euro exportieren -Ê11,5 Prozent mehr als 2004. Ein Grund ist die anhaltende Riesling-Welle; hier zu Lande reifen 60 Prozent aller Riesling-Reben.
Nickenig fordert, dass die EU das Geld den nationalen Regierungen gemäß Anbaufläche zur Verfügung stellt. Spanien könne dann ruhig Rodungen subventionieren. Deutsche Winzer wünschten sich dagegen mehr Exportförderung. »Unsere Weinbau-Politik ist viel zu zahm«, meinte der DWV-Sprecher. Australien und die USA zielten dahin, ihre Exporte jährlich um mindestens zehn Prozent zu steigern. »Wir in Deutschland wollen die Marktanteile auf keinen Fall freiwillig aufgeben.«
Die subventionierten Rodungen sind allerdings nicht der einzige Kritikpunkt des Verbandes an der EU-Weinmarktreform. Auch das von Brüssel vorgeschlagene Verbot der Anreicherung von Saccharose (Haushalts- oder Kristallzucker) stößt in Bonn auf Kritik. Das »Chaptalisierung« genannte Verfahren sei nicht nur in einigen EU-Ländern gut eingeführt, sondern darüberhinaus von der Kommission selbst in Verträgen mit Drittländern anerkannt worden. Nach dem Weinabkommen zwischen der EU und den USA können in Europa sogar aus Amerika importierte »Kunstweine« -Êvon Bundesagrarminister Horst Seehofer auch schon mal »Ramschweine« genannt - verkauft werden.
Was die von der EU vorgeschlagene Liberalisierung der Vorschriften für die Etikettierung betrifft, so sieht Nickenig keinen Bedarf für die Änderung einer Regelung, die gerade erst reformiert wurde. Die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen Tafel- und Qualitätsweinen sei so lange sinnvoll, wie Herkunftsbezeichnungen nicht besser geschützt würden. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 21.07.2006