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Im deutschen Radsport kündigt sich eine neue Ära an

Nach dem Doping-Skandal: Generalverdacht trifft auch junge Fahrer - Ullrich kämpft gegen Kündigung

Morzine (dpa). Andreas Klöden an der Spitze der Tour de France, Jan Ullrich im Schweizer Zwangsurlaub: Nicht nur im T-Mobile-Team, für den gesamten deutschen Radsport kündigt sich nach Ullrichs Doping-Debakel eine neue Ära an.

Dabei rücken Fahrer, die wie Klöden noch im alten System groß wurden, mit neuen Hoffnungsträgern wie Markus Fothen, Fabian Wegmann und Patrik Sinkewitz in den Vordergrund. Allerdings werden auch die Neuen vom Generalverdacht belastet.
Alle Fahrer stehen noch mit einem Bein in der alten Rad-Welt, dessen Abgründe mit dem Skandal um das spanische Dopingkartell sichtbar wurden. Ob Sinkewitz, dem der umstrittene italienischen Mediziner Michelle Ferrari die Trainingspläne bastelt, oder Linus Gerdemann mit seinen Verbindungen zu Ullrich-Betreuer Luigi Cecchini - in der Branche reichen vermutlich harmlose Kontakte, um Karrieren im schrägen Licht erscheinen zu lassen.
»Mit diesen Verdächtigungen müssen jetzt alle leben«, sagt T-Mobile-Teammanager Olaf Ludwig. Ein lückenloses Kontrollsystem »wie von vielen Schlauen jetzt vorgeschlagen«, kann es nicht geben: »Wir müssen weiter auf Vertrauen zu den Fahrern setzten.« Gerdemann soll sich von Cecchini losgesagt haben, Sinkewitz hat es mit Ferrari vor, »wenn das Team es verlangt«.
Ludwig will nach der Tour Klöden »wie abgesprochen« ein Vertragsangebot unterbreiten. Zur Laufzeit wollte Ludwig nichts sagen, wohl auch deshalb, weil noch nicht feststeht, ob sich T-Mobile über 2008 weiter im Profi-Radsport engagieren wird.
Die Bonner, die sich das Radsponsoring jährlich 12 Millionen Euro kosten lassen, verbinden mit Ullrichs Abgang auch einen Image-Wechsel für den zunehmend unglaubwürdigeren Radsport. »Wir haben seit anderthalb Jahren mit den Vorbereitungen für die Zeit nach Ullrich begonnen«, so T-Mobile-Sprecher Christian Frommert. Klöden soll das neue Aushängeschild werden.
Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer fühlt sich in Dopingfragen nach dem Fall Danilo Hondo, der nach positiver A-Probe wie im Ethik-Code der ProTour-Teams festgelegt, sofort suspendiert worden war, auf der sicheren Seite: »Ich bin froh, dass ich Fahrer habe, zu denen die Blutkontrolleure eine halbe Stunde vor Rennbeginn kommen könnten - zur Not jeden Tag.«
Jan Ullrich will sich gegen die am Donnerstag von seinem Team ausgesprochene »außerordentliche Kündigung des Fahrervertrags« notfalls auch juristisch zur Wehr setzen. Wie der Tour-de-France-Sieger von 1997 am Freitag mitteilte, werde er die Kündigung nicht akzeptieren. »Die Kündigung von T-Mobile ist für mich nicht akzeptabel. Sehr enttäuscht bin ich darüber, dass mir diese Entscheidung nicht persönlich, sondern von den T-Mobile-Anwälten per Fax mitgeteilt wurde.«
Auf Ullrichs Internetseite heißt es weiter: »Ich finde es beschämend, dass ich nach so vielen Jahren und nach allem, was ich für das Team getan habe, wie eine Faxnummer behandelt werde.« »Die Kündigung ist unbegründet«, sagte auch Ullrichs Manager Wolfgang Strohband: »Sofern das für die nächste Woche geplante Gespräch keine Einigung bringt, wird Jan Ullrich die Kündigung gerichtlich anfechten.« Vertreten wird Ullrich von Rechtsanwalt Dr. Ulrich Theune. Der meinte: »Die Kündigung wird keinen Bestand haben.«
Ullrich hat unterdessen alle Rennen abgesagt, für die er vor der Tour de France schon fünf Verträge abgeschlossen hatte.

Artikel vom 22.07.2006