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Dieser Beruf gibt der Familie keine Chance

Arztehepaare fordern »menschliches Arbeitssystem« - Marburger Bund: Absage an Verdi


Bielefeld (md). Juliane Wopp (27) steckt in der Zwickmühle. Und der Grund ist gerade sechs Monate alt, heißt Lotta und ist ein echter Wonneproppen. Papa Arno Wopp (32) ist auch dabei. Eine seltene Gelegenheit zum Familienausflug ist ausgerechnet die Demonstration auf dem Jahnplatz. Tarifsystem und Arbeitszeitregelungen für Krankenhausärzte machen Familien kaputt oder ersticken sie im Keim, bekräftigt Juliane Wopp.
Bevor sie in Mutterschutz ging, war sie Assistenzärztin in der Medizinischen Klinik Mitte. So wie Ehemann Arno, der vor der Demonstration den Dienst eher begonnen hatte, um alle Patienten zu versorgen. Die Zukunft der Familie, erklärt Juliane Wopp, ist durch den Beruf sehr eingeschränkt. Obwohl für sie seit der achten Klasse der Berufswunsch feststand, befindet sie sich auf einer Gratwanderung: »Viele haben mich gewarnt, Familie und Beruf im weißen Kittel seien nicht zu vereinen. Jetzt verstehe ich die Argumente.« Sie sind offenkundig. Bedingt durch die Arbeitszeiten. Das »Prinzip Ende offen« untergräbt alle Versuche, Kinder in Krippen betreuen zu lassen, weil sich Dienst und Freizeit nicht mit den Öffnungszeiten der Betreuung vereinbaren lassen.
Bei der Demonstration auf dem Jahnplatz trifft Juliane Wopp auf Barbara Wegehenkel. Sie hat Klein-Emil in der Kinderkarre dabei. Und ihren Job in Mitte an den Nagel gehängt, kümmert sich um den Nachwuchs. Vater Kai ist, während die Kollegen für ihre Rechte auf die Straße gehen, ebenfalls im Krankenhaus. In der Onkologie gibt es keinen Streik, unterstreicht Dr. Christian Leuner (Marburger Bund). Die Notfallversorgung der Krebspatienten hat absolute Priorität.
Die Passanten auf dem Jahnplatz erkennen diese Aussage an, haben großes Verständnis und können gleichermaßen nachvollziehen, wo auch die junge Familie Wegehenkel der Schuh drückt. Der Gewissenskonflikt zwischen Arbeitsmarathon und dem natürlichen Wunsch, sich um Frau und Kind zu kümmern und ganz normale Aufgaben zu erledigen, hinterfragt ständig die Berufswahl.
Der Verzicht auf den geliebten Job kann weniger mit Geld geregelt werden. Um so deutlicher fordern die Ärzte auf ihren Transparenten denn auch, was die beiden jungen Mütter im weißen Kittel am meisten vermissen: ein menschliches Arbeitssystem, in dem einfach genug Platz ist für die Belange der Familie. Wenig Verständnis haben die Ärzte auf der Straße deshalb für die Forderungen der Gewerkschaft Verdi, die im Namen des Pflegepersonals 150 Euro Pauschale für alle im Krankenhaus tätigen von der Küchenhilfe bis zum Chefarzt fordert. Ein Facharzt: »Da wird Sozialneid geschürt auf unserem Rücken, versucht man das Klima zu vergiften.« Dabei haben Pfleger und Techniker wenigstens geregelte Arbeitszeiten.

Artikel vom 21.07.2006