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Die Tour war Jan Ullrichs Schicksal

Nach der Kündigung droht die Sperre: Ex-Trainer macht sich Sorgen

Paris (dpa). Sein Sieg 1997, der erste eines deutschen Radprofis im größten Rennen der Welt, begründete seinen Aufstieg zum Idol. Die Tour de France war Jan Ullrichs Schicksal.

Die ohne ihn zu Ende gegangene 93. Frankreich-Rundfahrt markierte den Schlusspunkt einer elfjährigen Karriere, durch die der Radsport in Deutschland in völlig neue Dimensionen aufstieg.
Die per Fax ausgesprochene fristlose Kündigung durch seinen Arbeitgeber am Freitag wegen schwerer Doping-Vorwürfe will Ullrich (»fühle mich behandelt wie eine Faxnummer«) nicht hinnehmen. Seine Anwälte kündigten gerichtliche Schritte an. Die lange glücklich scheinende Sportehe zwischen Ullrich und T-Mobile scheint vor dem Kadi zu enden.
Den Termin der Kündigung habe T-Mobile gewählt, »obwohl wir für eine mögliche Kündigung eine Fristverlängerung bis Ende nächster Woche eingeräumt hatten. Ich wollte so verhindern, dass Unruhe ins Tour-Team kommt«, schrieb Ullrich am Wochenende auf seiner Homepage. »Ich stehe mit den Jungs persönlich in Verbindung«, gab er sich immer noch als fürsorgender Kapitän.
Der in Rostock Geborene, der zum »Steuer-Schweizer« wurde, mag zwar finanziell längst ausgesorgt haben. Aber nicht nur der geständige Arbeits-Kollege David Millar rät zum rigorosen Outing, »sonst geht er kaputt«. Der Goldmedaillengewinner, Toursieger, zweifache Zeitfahr-Weltmeister und Tour-de-Suisse-Sieger zieht sich aber weiter hinter seine Advokaten zurück. In einem arbeitsrechtlich womöglich unübersichtlicheren Fall, als es sein bisheriger Arbeitgeber T-Mobile wahrhaben will, kämpfen sie in seinem Auftrag vor allem darum, die Reste letzter Bezüge zu retten.
Mehr als ein laues, von den Anwälten diktiertes Statement (»keine Beweise«), gab es bisher nicht. Mit roten Blutkörperchen aufgefülltes Eigenblut, in Beuteln im Kühlschrank eines Madrider Hämatologen gelagert, Wachstumshormone, Testosteron, Insulin, Kortison: Das alles soll Ullrich via Rudy Pevenage vom spanischen Doping-Kartell geordert und jahrelang benutzt haben. Gegen diese handfesten Vorwürfe hat Ullrich noch kein Alibi, obwohl er Unschuldsbeweise angekündigt, aber bisher nicht vorgelegt hat. Weil er aus Spanien keine Klage zu erwarten hat, handelt er aus juristischer Sicht im Moment wahrscheinlich richtig.
Nachdem der Bonner Konzern, der sich sein Engagement jährlich 2,5 Millionen Euro kosten ließ, alle Leitungen zum einstigen Vorzeige-Athleten gekappt hatte, steht Ullrich vor dem Aus. Die zu erwartende Sperre dürfte einen Karriere-Fortgang auch im Ausland, beispielsweise im kasachischen Team seines Ex-Freundes Alexander Winokurow, unmöglich machen.
T-Mobile-Sprecher Christian Frommert wünschte dem ehemals gehätschelten Star, »dass seine neue Freundin jetzt zu ihm hält«. Vor der Tour hatte Ullrich verkündet, dass er Sara »noch in diesem Jahr heiraten« werde. Das stieß vor vier Wochen noch allenthalben auf großes Interesse. Sein ehemaliger Trainer Peter Becker warnte bereits, sein ehemaliger Schützling könnte zum Alkoholiker werden, »wenn sich keiner kümmert«.

Artikel vom 24.07.2006