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Probewohnen im Altenheim

Bielefelder Seniorin Elli Stein sammelte vielfältige Erfahrungen

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Trockenes Brot, pampige Brötchen, kein frisches Obst und Gemüse. Dafür hing am Klorollenhalter noch der Kot des Vorgängers. Auch die Bettwäsche war schlampig aufgezogen, und sonntags wurde weder das Bett gemacht, noch kam jemand vom Pflegepersonal, um ihr beim Waschen zu helfen. Man mag kaum glauben, welche Erfahrungen Elli Stein beim Probewohnen in drei Bielefelder Altenheimen gemacht hat.

»Ich weiß von Menschen, die von ihren Kindern in irgendein Altenheim gesteckt wurden und todunglücklich sind«, erzählt die 86-jährige Seniorin. Um sich selbst das gleiche Schicksal zu ersparen, sah sich die geistig wache Frau, die seit 45 Jahren in einer 90 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung in Schildesche lebt, drei Einrichtungen genauer an.
Haus Nummer 1, aus dem obige Eindrücke stammen, war »unterste Stufe« sagt die ehemalige Krankenschwester. Das Personal sei überfordert gewesen: »Freundlich, aber vergesslich.« Und das Essen eine einzige Katastrophe: Die einzelnen Speisen des Mittagessens flossen auf dem Teller ineinander. Der Kartoffelsalat enthielt mehr Soße als Kartoffeln. Die erste Banane - das einzige Stück Obst -Ê gab's nach einer Woche, und bei warmem Wetter wurde mächtige Kost serviert. Als sie den Koch des Hauses auf die ihr unerträglichen Verhältnisse ansprach, erwiderte dieser: »Bei mir hat sich noch keiner beschwert.« - »Kein Wunder, bei 90 Prozent Demenzkranken«, entrüstet sich Elli Stein. Immerhin: Am nächsten Morgen gehörte zum Frühstück ein knackiges Brötchen.
In Haus Nummer 2 war Elli Stein mit dem Essen zufrieden. Zudem gefielen ihr die Helligkeit und Bauweise mit ihren Fensternischen und Sitzecken. Dazu gab's ein großes Aktivitätsangebot. »Da wäre ich sofort geblieben, wären die Zimmer nicht so klein gewesen. Ich pass nicht in so eine kleine Kabine«, sagt die Seniorin, die noch immer leidenschaftlich zwei Hobbys nachgeht: dem Nähen und dem Schreiben.
Auf ihre Nähmaschine würde sie verzichten. Schließlich ließen die Augen langsam nach und wer wisse schon, wie lange sie der Näherei noch nachgehen könne, gibt Elli Stein zu bedenken. Doch auf das Schreiben am Computer wolle sie nicht verzichten. Und nicht nur der, sondern auch ihre unzähligen Unterlagen, Schriftstücke, Bücher und Ordner benötigen Platz. Platz, an dem es Elli Stein in ihrem zweiten Testobjekt mangelte.
Fast perfekt hingegen präsentierte sich Haus Nummer 3. Vor allem das Essen sei sehr gut gewesen. Zur Auswahl standen zwei Menüs; serviert wurde auf dreigeteilten Tellern, so dass das Gericht nicht auf dem Weg von der Küche in den Speisesaal zu einem Einheitsbrei zusammenfließen konnte. »Dazu gab's viel frisches Obst und Gemüse«, lobt Elli Stein, die sich noch immer jeden Tag eine frische Mahlzeit kocht. Die Crux: Der Fußweg zum Bus, der in die Innenstadt fährt, war für die gehbehinderte Seniorin zu beschwerlich. Beschwerlich werden ihr mittlerweile auch der Haushalt und das Kochen. Immer mehr Zeit des Tages muss die 86-Jährige investieren, um die Arbeit des Alltags zu bewältigen. »Und da ich auf meine Hobbys nicht verzichten möchte, dachte ich mir, ich such mir was, wo ich Essen und Trinken vorgesetzt kriege.«
Bei den vergangenen Gesundheitstagen sammelte sie fleißig Altenheim-Prospekte ein und stieß auf das Angebot einiger Einrichtungen, zur Probe zu wohnen. »Die Pflegeversicherung zahlt 28 Tage pro Jahr für eine Kurzzeitpflege. Die Zeit habe ich mir dann auf drei Häuser aufgeteilt«, erklärt Elli Stein. Sie wird jedoch in keines der getesteten Altenheime einziehen; ihre Suche geht weiter. Allerdings konzentriert sie sich jetzt stärker auf Wohngruppen und Betreutes Wohnen.

Artikel vom 10.10.2006