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Gehen Sie unbesorgt nach Canossa!

Historiker Professor Dr. Rudolf Schieffer würdigt die Mittelalterschau

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). König Heinrich IV. musste noch durch Schnee und Eis nach Canossa kriechen. Für Bundespräsident Horst Köhler wurde der Gang zu einem richtigen Triumphzug.
Im Diözesanmuseum zeigten Horst und Eva Köhler besonderes Interesse für ein kleines Objekt, das einmal Goethe gehörte. Foto: Wolfram Brucks

Bei tropischen Temperaturen erwarteten Hunderte fröhlich gestimmter Zaungäste das Staatsoberhaupt und seine Frau Eva zur Eröffnung der großen Mittelalterschau »Canossa 1077 - Erschütterung der Welt« in Paderborn. Die Schützen standen zackig Spalier, als das Präsidentenpaar nach der Festveranstaltung mit knapp 1000 geladenen Gästen im Dom die wichtigsten Schaustücke in der Kaiserpfalz und im Diözesanmuseum in Augenschein nehmen wollte. Und Schauspieler aus der norditalienischen Region Canossa gaben der Zeremonie in historischen Kostümen der damaligen Protagonisten den Rahmen.
Genau 900 Jahre nach dem Tod des Salierkönigs Heinrich IV., der in seinem Leben wahrscheinlich nie nach Paderborn gekommen ist, richtet die ostwestfälische Bistumsstadt die erste große Ausstellung aus, die dem Ereignis je gewidmet worden ist. 700 Exponate aus vielen wichtigen Museen und Sammlungen künden in drei Häusern an der Pader von der Zeit des großen Umbruchs im elften Jahrhundert, als Kirche und Staat ihre jeweiligen Machtsphären neu ausbalancierten.
»Die Autonomie des geistlichen Bereichs gegenüber der weltlichen Macht ist seit Canossa ein charakteristisches Merkmal, durch das sich Europa bis heute von Gottesreichen und Sakralstaaten unterscheidet«, verwies der Festredner im Dom, der Münchener Historiker Prof. Dr. Rudolf Schieffer, auf die Bedeutung des historischen Ereignisses. In der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts mit ihren kulturellen Verwerfungen sei es wichtig, sich auf die geschichtlichen Wurzeln zu besinnen. »Seien Sie daher außer Sorge: Gehen Sie nach Canossa, körperlich wie geistig, hier in Paderborn!«, rief er den Festgästen in Anspielung auf ein folgenreiches Bismarck-Zitat zu, der 1872 ausdrücklich vor einem solchen »demütigenden« Akt gewarnt hatte.
Als Vertreter der Bundesregierung unterstrich Kultur-Staatsminister Bernd Neumann die Aktualität des Canossa-Geschehens. »Die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat stellt sich mit neuer Dringlichkeit. In westlichen Ländern ist der religiöse Fanatismus überwunden, jetzt taucht er in neuem Gewand wieder auf.«

Artikel vom 22.07.2006