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Umbruch beflügelt
die romanische Kunst

Mittelalter-Schau parallel in drei Museen


Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). Man sollte schon etwas Zeit an die Pader mitbringen, um die Ausstellung »Canossa 1077 - Erschütterung der Welt«, die parallel in drei Museen der Stadt gezeigt wird, in gebotener Muße zu erwandern. Der Rundgang durch die Mittelalter-Schau muss nicht zur Strapaze werden. Dafür haben schon die Ausstellungsmacher mit ihrer durchdachten thematischen Gliederung und wirkungsvollen Präsentation gesorgt.
Empfohlen wird Besuchern der Einstieg in der Kaiserpfalz, in der das historische Treffen zwischen Papst Gregor VII. und dem Salierkönig Heinrich IV. im Januar des Jahres 1077 aufbereitet wird. Durch eine windumtoste Felsschlucht erreicht man das geöffnete Burgtor, hinter dem eine kathedralähnliche Architektur gleich den Blick auf eines der schönsten Exponate der Schau lenkt: auf das reich mit Edelsteinen besetzte Reichskreuz des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden. Links und rechts der Sichtachse stehen sich die Herrschaftssymbole der beiden Kontrahenten gegenüber: der aus Goslar entliehene Kaiserthron sowie der marmorne Papstthron aus dem Lateran in Rom.
Den Bußgang Heinrichs IV. überliefert die mittelalterliche Lebensbeschreibung der Gräfin Mathilde von Tuszien. Die kostbar illustrierte Handschrift zeigt den Salierkönig bei der »Generalprobe« seines Kniefalls vor der Markgräfin von Canossa.
Nur wenige Schritte von der Kaiserpfalz entfernt ermöglicht das Diözesanmuseum einen Blick auf künstlerische Spitzenwerke der Canossa-Zeit. Spiralförmig erschließt sich dem Besucher die Ausbreitung der romanischen Kunst nach Westfalen. Eine der stilbildenden Kunsthandwerkstätten unterhielt das Kloster Helmarshausen an der Diemel.
Eine interessante Abrundung erfährt das Thema in der Städtischen Galerie, die der Nachwirkung und dem bis heute geläufigen Sprachbild des Canossagangs nachspürt. Vor allem Reichskanzler Otto von Bismarck prägte durch seinen Ausspruch »Nach Canossa gehen wir nicht!« eine von nationalen Kräften genutzte antiklerikale Trutzhaltung in der Kaiserzeit, die vom Nationalsozialismus wieder aufgegriffen wurde.

Artikel vom 20.07.2006