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Handstand auf dem Küchentisch

Brackwedes ältester Einwohner Willy Walter feiert heute seinen 101. Geburtstag

Von Peter Monke
Brackwede (WB). Das Geheimnis für sein hohes Alter kennt Willy Walter ganz genau: »Ich habe mein Leben lang nicht geraucht und immer viel Sport getrieben.« Heute feiert der gebürtige Schlesier, der seines Wissens nach ältester männlicher Einwohner Brackwedes ist, seinen 101. Geburtstag und freut sich bereits auf das Wiedersehen mit der ganzen Familie am kommenden Samstag.

Geboren im niederschlesischen Brockau, wuchs Willy Walter mit seinen beiden Schwestern Käthe und Erna in Glogau, einer ländlichen Ortschaft nördlich von Breslau, auf. »Damals hatten wir nicht viel, und ich musste schon früh mit für die Familie sorgen«, erinnert sich das Geburtstagskind. Kaninchen und Hühner habe er gehalten - jedoch nicht zu Zuchtzwecken wie heute, sondern um regelmäßig Eier und Fleisch auf den Tisch des Hauses zu bekommen.
Nach dem Ersten Weltkrieg und Beendigung der Schulzeit begann Willy Walter eine kaufmännische Ausbildung bei der Firma Eckersdorf, deren damalige Telefonnummer - 920 - er noch heute im Kopf hat. Es folgte eine Anstellung bei einem Betrieb, der mit landwirtschaftlichen Produkten handelte, ehe er in den 30er Jahren bei der Provinzial-Feuersozietät, einem Versicherungsunternehmen, als Buchhalter Arbeit fand.
Da er bei dieser Tätigkeit viel sitzen musste, trieb er zum Ausgleich Sport: Rudern und Faustball zählten zu seinen großen Leidenschaften, dazu Früh- und Abendsport mit Liegestützen, Klimmzügen und Handstand auf dem Küchentisch. »Bis ins hohe Alter hat mein Vater nach dem Aufstehen und vor dem Schlafengehen Sport getrieben. Zum 90. Geburtstag haben wir ihm noch einen Ruder-Heimtrainer geschenkt, den er regelmäßig benutzt hat«, erzählt Tochter Dorothea Ziert, bei der Willy Walter seit zwei Jahren lebt. »Dank dieses Trainings hat er heute noch genug Kraft, sich selbst aus einem Stuhl oder Sessel hochzustemmen.«
1938 heiratete Willy Walter seine Frau Friedel. Das junge Glück währte jedoch nur kurz. Gleich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Walter eingezogen, kämpfte sechs Jahre als Soldat, unter anderem an der Ostfront in Russland, ehe er kurz vor Kriegsende in englische Gefangenschaft geriet. Eine finstere Zeit mit schrecklichen Erlebnissen, von der er bis heute nicht gerne erzählt.
Während Walter in Gefangenschaft geriet, musste seine Familie vor der heranrückenden Roten Armee aus Schlesien fliehen. In Bornstedt nahe Magdeburg fand Friedel Walter mit ihren drei Kindern Dorothea, Reimar und Sigrid bei ihren Eltern Unterschlupf. Eine glückliche Fügung, denn so brauchte Willy seine Lieben nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenenschaft nicht lange zu suchen. Schnell fand er wieder Arbeit in der Versicherungsbranche, musste dafür aber lange Fahrten mit dem Zug nach Stendal in Kauf nehmen, und war deshalb eine zeitlang nur am Wochenende zu Hause.
Nach Bielefeld verschlug es Familie Walter erstmals durch einen Kurzurlaub bei Willys Schwägerin Dora im Jahr 1955. Während des Besuchs traf Willy auch seinen alten Ruderkameraden Kurt Dolleschel wieder, der mittlerweile zum Geschäftsführer der Firma Union Knopf aufgestiegen war. »Der hat zu mir gesagt, was willst du denn in Stendal, du kannst auch bei uns als Buchhalter arbeiten.« Gesagt, getan.
Bis zum 65. Lebensjahr arbeitete Willy Walter im Unternehmen, wurde aber auch anschließend immer wieder gerne zu Rate gezogen, wenn Not am Mann war. Um seiner Frau nach vielen entbehrungsreichen Jahren endlich wieder etwas bieten zu können, machte er mit 55 Jahren noch den Führerschein. Urlaube führten die Familie an die Nord- und Ostsee, nach Italien, Frankreich, England oder Bulgarien.
Wenn Willy Walter heute auf sein Leben zurückblickt, wirkt er zufrieden. Manchmal kann er selbst kaum glauben, wie er alt er mittlerweile ist: »101 Jahre - so alt wird doch kein Mensch«, sagt er dann und schüttelt den Kopf. Da es ihm gesundheitlich noch immer recht gut geht, kann er die Sonne im heimischen Garten sitzend genießen. Morgens und abends bekommt er ein kleines Schnäpschen für den Kreislauf, mittags wartet ein Eierlikör auf ihn. Nach wie vor ist er am Geschehen in der Welt sehr interessiert. Tochter Dorothea muss ihm zum Frühstück die wichtigsten Nachrichten aus der Zeitung vorlesen.
Am Samstag freut sich das Geburtstagskind auf eine große Familienfeier. Neben den eigenen Kindern Dorothea (67), Reimar (64) und Sigrid (62) haben sich auch die Enkel Peter (44), Marion (42), Martin (40), Thomas (40) und Reimar junior (34) sowie die Urenkel Felix (18), Dominik (16), Denis (15) und Maximilian (14) angesagt.

Artikel vom 20.07.2006