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»Super-Angie« im Ausland, doch innenpolitisch hat Angela Merkel an Kredit verloren.

Leitartikel
Große Koalition

Deutschland
braucht
kühle Köpfe


Von Dirk Schröder
Außenpolitisch hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg ohne Zweifel einen weiteren Punktsieg gelandet. Den schwächelnden Tony Blair und Jacques Chirac hat sie längst den Rang abgelaufen. Und auch gegenüber den beiden Mächtigen in Washington und Moskau hat sie die richtige Tonlage gefunden.
Ihr Verhältnis zu George W. Bush hat nichts mit Kumpanei zu tun. Hier ist die Freundschaft zwischen Deutschland und USA wiederbelebt worden, die jahrzehntelang selbstverständlich gewesen war, zuletzt aber einen Knacks bekommen hatte. Merkel pflegt diese Freundschaft jedoch in einer Art und Weise, durch die sich auch Wladimir Putin nicht zurückgesetzt fühlt. Beide haben eine Wellenlänge gefunden, auf der es auch bei ihnen funkt. Und wenn Rocksänger Bono Angela Merkel noch »als die wichtigste Person auf dem Planeten« für die Beseitigung der Armut preist, unterstreicht dies nur die außenpolitische Bedeutung Deutschlands - Vertrauen in allen Lagern.
»Super-Angie« im Ausland, doch innenpolitisch hat sie einigen Kredit verloren. Auch wenn sich die Union in der jüngsten Forsa-Umfrage wieder leicht verbessert hat. Die Bundeskanzlerin hat die anfangs in sie gesetzten Erwartungen und Hoffnungen der Bürger noch nicht umgesetzt. Auch bei den Top-Entscheidern in Deutschlands Wirtschaft und Verwaltung hat sie einiges von ihrem Vertrauensvorschuss aufgebraucht. Noch steht mehr als die Hälfte der Führungskräfte hinter Merkels Politik. Und ihr Machtwort gegenüber dem nörgelnden Koalitionspartner SPD zu den geplanten Steuerentlastungen für Unternehmen wird hier sehr wohl registriert worden sein.
Das kann aber nur ein Anfang gewesen sein. Die Kanzlerin wird bis zum Jahresende noch ordentlich punkten müssen, will sie nicht weiter an Ansehen verlieren. Kein leichtes Unterfangen bei einem Koalitionspartner, der wie auch viele der Unions-Ministerpräsidenten zumeist mehr an sich als an das Ganze denkt.
Der Wähler hat diese Große Koalition gewollt, da ist nun einmal nicht alles machbar, was man sich wünscht. Das ist allen klar, aber wenn es um die Verwircklichung dieser Politik geht, hat man dies schnell vergessen.
Doch bei allem ist Angela Merkel die Kanzlerin. Daran sollte sie keine Zweifel lassen und sich das Heft des Handelns nicht aus der Hand nehmen lassen.
Genau dieser Eindruck ist jedoch in jüngster Zeit entstanden. Dass es so nicht weitergehen kann, hat auch Bundespräsident Horst Köhler erkannt. Seine Schelte für die »Sandkastenspielen« der Koalition kam zur rechten Zeit.
Und die Reaktion Angela Merkels hat gezeigt, dass dieses Amt bei ihr weiter in guten Händen liegt. Statt sich die Kritik zu verbitten, sieht sie sich ermuntert und ermutigt. Auch die SPD sollte sich die Kritik zu Herzen nehmen. Deutschland braucht auch in dieser Hitze kühle Köpfe.

Artikel vom 20.07.2006