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26-stündige Flucht vor dem Krieg
in Nahost endet in Düsseldorf

Airbus bringt 320 Deutsche aus dem Libanon zurück - sichtlich gezeichnet

Von Kira Frenk und Thomas Hochstätter
Düsseldorf (WB/dpa). Es war eine Odyssee durch eine brennende Krisenregion: Die 26-stündige Flucht vor dem Krieg in Nahost endet gestern Morgen für 320 deutsche Flüchtlinge aus dem Libanon im Empfangsterminal des Düsseldorfer Flughafens. Viele der Geretteten bekommen zunächst kaum ein Wort heraus, sind stumm vor Freude. Schluchzend und mit Tränen in den Augen fallen sie in die Arme ihrer so lange wartenden Angehörigen.

Auch die 17-fache Großmutter Sakne Tohme (56) hat es geschafft. Nach einer abenteuerlichen Flucht aus dem Südlibanon ist sie gemeinsam mit ihrer Tochter Hanadi (19) wohlbehalten nach Bad Oeynhausen zurückgekehrt. Mit langen Barfußmärschen und per Anhalter kämpften sich die beiden aus einem zerstörten Dorf an der Grenze zu Israel bis ins syrische Damaskus, wo sie gestern Morgen ein Flugzeug nach Düsseldorf erreichten.
»Ich habe schreckliche Dinge gesehen«, erzählt die Frau, die mit ihrer Großfamilie seit mehr als 20 Jahren in Bad Oeynhausen lebt. Allein in ihrem Heimatdorf habe es mehr als 20 Tote gegeben. Große Sorgen macht sich Sakne Tohme jetzt um ihren im Libanon lebenden Neffen Hussein (24). Der Sohn ihres Bruders Ali (43) hatte nach einer Schusswunde am Kopf ein zweites Mal operiert werden sollen. Doch der Weg von seinem Dorf zum nächsten etwa eineinhalb Autostunden Stunden entfernten Krankenhaus ist sehr gefährlich geworden. Außerdem würden die zahlreichen Bombenopfer mit abgerissenen Gliedmaßen vorrangig behandelt.
»Gott sei Dank, sie leben!«, steht auf dem Spruchband, das Hannelore Appenowitz mit zitternden Händen hochhält. Sie ist gekommen, um ihre Tochter, den Schwiegersohn und zwei Enkelkinder abzuholen, die bei der Familie in Beirut zu Besuch waren. Die schier unendlich scheinende Wartezeit wurde am frühen Morgen noch einmal zur Nervenprobe, als bekannt wurde, dass der rettende LTU-Airbus erst mit zwei Stunden Verspätung auf dem Düsseldorfer Airport eintreffen werde. Die Maschine war in Damaskus gestartet, weil der Flughafen in Beirut von Bomben zerstört worden ist.
Als die ersten Passagiere in die Flughafenhalle kommen, verschlägt es vielen von ihnen die Sprache. Endlich sind sie in der Obhut ihrer Angehörigen - und weinen nur noch.
Seit den ersten Luftangriffen auf Beirut habe sie nicht mehr geschlafen, erzählt Amina Darwisch, die mit ihren Kindern eine Woche im bombensicheren Bunker verbringen musste. Zusammen mit anderen Deutschen sei sie schließlich mit einem Buskonvoi der deutschen Botschaft in Beirut außer Landes gebracht worden: »Wir hatten auf der Busfahrt ständige Angst, bombardiert zu werden, aber es gab keine andere Wahl«, schildert sie schluchzend das Erlebte.
Die Bomben hätten in Beirut und Umgebung bereits die gesamte Infrastruktur - Brücken, Straßen, Elektrizitätswerke - vernichtet, schildert Ali Alusch, der mit seinen Kindern die Flucht nach Damaskus im eigenen Auto gewagt hat. »Sehr bald wird im Libanon der Hunger ausbrechen«, warnt er. Und eine Frau, die ihre Emotionen kaum noch unter Kontrolle hat, schreit in die Menge: »Wir sind gerettet, aber wer rettet die Libanesen?«

Artikel vom 19.07.2006