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Politiker der Ukraine bieten
ein chaotisches Schauspiel

Ende nicht in Sicht - Russlandfreundliche Koalition nimmt Arbeit auf

Von Dirk Schröder
Bielefeld/Kiew (WB). Seit Monaten ist die Ukraine, die Ende 2004 so hoffnungsvoll in eine demokratische Zukunft gestartet ist, von politischen Querelen gelähmt. Seit den Parlamentswahlen Ende März herrschen dort chaotische Verhältnisse. In der vergangenen Woche ist das prowestliche orangene Lager überraschend schachmatt gesetzt worden.
Noch vor Monaten standen die Signale in der Ukraine auf Grün für den Weg in eine demokratische Zukunft. Doch gegenwärtig sieht es im Parlament anders aus: statt politischer Argumente handfeste Rangeleien.Haben unverhofft wieder Oberwasser: Anhänger des russlandfreundlichen früheren Regierungschefs Viktor Janukowitsch. Fotos: dpa/Reuters
Zwar hat am Dienstag die neu gebildete russlandfreundliche Koalition in Kiew ihre Arbeit aufgenommen. Das Ende des monatelangen Dauerkonflikts ist damit aber noch nicht erreicht. Der sozialistische Parlamentsvorsitzende Alexander Moros schlug zwar erneut Viktor Janukowitsch von der Partei der Regionen als Regierungschef vor. Doch Präsident Viktor Juschtschenko ließ schon mitteilen, dass er dem Parlament bis zum 25. Juli Zeit gebe, eine »das Land einende« Regierung zu bilden. Ansonsten behalte er sich das Recht vor, das Parlament aufzulösen
Tumulte und Rangeleien zwischen den politischen Gegnern sind im Parlament in Kiew an der Tagesordnung, mit Sirenen werden die Abgeordneten am Rednerpult übertönt. Und noch am Dienstag blockierten mehr als 1000 Anhänger der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko Eingänge zum Parlamentsgebäude.
Ausgangspunkt dieses chaotischen Schauspiels war der Seitenwechsel des sozialistischen Parlamentschefs Moros, der das orangene und prowestliche Lager, bestehend aus der Partei »Unsere Ukraine« des Präsidenten Viktor Juschtschenko, dem Wahlblock Timoschenkos sowie der Sozialistischen Partei, gespalten hat.
Am 22. Juni hatte Timoschenko stolz verkündet, man habe sich auf eine gemeinsame Koalition geeinigt. Am 6. Juli jedoch ließ sich Moros mit den Stimmen der Kommunisten und der prorussischen Partei der Regionen zum Parlamentssprecher wählen. Das orangene Dreigestirn war zusammen gebrochen, noch bevor es mit der Arbeit begonnen hatte. Und nur einen Tag später präsentierten die Sozialisten, Kommunisten und die Partei der Regionen eine neue »Anti-Krisen«-Koalitionsvereinbarung und kündigten an, Viktor Janukowitsch, den Widersacher Juschtschenkos bei der Präsidentenwahl 2004, für den Posten des Premierministers zu nominieren.
Diese Entwicklung kam für viele Politiker in der Ukraine überraschend, wie Elmar Brok, Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments, jetzt bei politischen Gesprächen in Kiew mit Juschtschenko, Timoschenko und dem Außenminister Boris Tarasiuk festgestellt hat. »Dort ist auch viel Persönliches im Spiel«, stellte der Bielefelder CDU-Politiker im Gespräch mit dieser Zeitung fest. Außerdem sollen wohl 120 Millionen Dollar an die Sozialisten geflossen sein. Politische Korruption gehört dort immer noch zum Tagesgeschäft.
Die Ukraine steht auch in den Augen Broks vor den schwierigsten Wochen seit ihrer Unabhängigkeit. In seinen Augen macht nur eine Koalition Sinn, in der auch Juschtschenkos Partei vertreten ist. Alle anderen Konstellationen hätten keine qualifizierte Mehrheit, da der Präsident alle Gesetze blockieren könne.
Brok berichtet weiter, er sei auf eine immer noch sehr frustierte Julia Timoschenko getroffen. »Sie hat den Tiefschlag noch nicht verdaut.« Sein Ratschlag: Sie solle gelassen in die Opposition gehen und dort ohne Hektik arbeiten. Bei Neuwahlen hätte sie sehr gute Chancen, da die enttäuschten Wähler in der Ukraine die Sozialisten mit Sicherheit in die Wüste schicken würden.
Brok sieht trotz des gegenwärtigen Chaos keine ernste Gefahr, dass die neue Regierung vom Kurs der Annäherung an die Europäische Union abweichen wird. »Zumal der Außen- und der Verteidigungsminister vom Präsidenten ernannt werden.« Und zudem hat Juschtschenko stets erklärt, er werde nur einen Ministerpräsidenten zulassen, der die Einhaltung der westlich ausgerichteten Politik garantiere. Indirekt machte Juschtschenko noch in dieser Woche deutlich, dass er Janukowitsch nicht zutraue, als Regierungschef die Spaltung des Landes zu überwinden.
Der Bielefelder Europaabgeordnete warnt die EU aber davor, allzu passiv auf die Entwicklung zu reagieren. Er erinnerte daran, dass die EU für die nächsten Jahre zwölf Milliarden Euro für sogenannte Nachbarschaftshilfe in nordafrikanischen und osteuropäischen Ländern beschlossen hat. Gelder davon sollten für den Aufbau von Demokratiestrukturen in der Ukraine ausgegeben werden. Brok stellt sich ansonsten folgenden Fahrplan für die Ukraine vor: Aufnahme in die WTO noch in diesem Jahr. Im nächsten Jahr erweiterte Partnerschaft und dann eine Freihandelszone.

Artikel vom 20.07.2006