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Postillion, spiel die Fanfare
»Thurn und Taxis« zum »Spiel des Jahres« gewählt -Êabsolut familientauglich
Erfahrene Brettspieler sind gute Ingenieure und Verkehrsplaner. Sie errichten auf unbewohnten Inseln oder entlang vorgegebener Landkarten Städte, Straßen, Eisenbahnen, Wasserleitungen, Pipelines . . . Warum also nicht auch ein Haltestellennetz für Postkutschen?
Karen und Andreas Seyfarth haben für diese Idee in der vergangenen Woche sogar die begehrte Auszeichnung »Spiel des Jahres« gewonnen. Ihr »Thurn-und-Taxis«-Postspiel folgt historischen Spuren. Francesco Tasso - nach seiner Erhebung in den deutschen Reichsadel Franz von Taxis genannt - richtete Ende des 15. Jahrhunderts im Auftrag von Kaiser Maximilian zwischen Innsbruck und Brüssel die erste regelmäßige Postlinie ein. Weil Pferde und Reiter an festen Stationen gewechselt wurden, schaffte nun ein Brief die gesamte Strecke in nur fünfeinhalb Tagen.
Schnelligkeit bei der Übermittlung von Informationen war auch schon lange vor dem Internet ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. So baute das bis heute in Regensburg ansässige Adelsgeschlecht das Postsystem immer weiter aus - unterbrochen allerdings von Ereignissen wie dem Dreißigjährigen Krieg und Napoleons Griff nach Europa. Unter dem französischen Kaiser verlor Thurn und Taxis sogar sein Monopol. 1815 erhielten die Fürsten es auf dem »Wiener Kongress« zurück - nur um es 1871 endgültig zu verlieren. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Post unter Fürst von Bismarck verstaatlicht -Êeine Bestimmung, die für mehr als 120 Jahre Bestand hatte.
Was Thurn und Taxis in Jahrhunderten aufgebaut haben, bilden die zwei bis vier Teilnehmer am Brettspiel in etwa 60 Minuten nach. Da geht ganz klar »die Post ab«. Das Spielprinzip ist einfach, wird nur durch ein paar Sonderregeln ergänzt.
Die vom Designer Michael Menzel wunderschön gestaltete nostalgische Landkarte auf dem Spielbrett zeigt Süddeutschland sowie Teile der angrenzenden Regionen Schweiz, Tirol, Salzburg, Böhmen und Polen. Unter den zentralen Sammelstellen sind manche Städte, die - wie etwa Kempten oder Sigmaringen - heute nur noch in der dritten Reihe der Kommunen spielen. Dargestellt werden alle durch ein ihr Stadtbild prägendes historisches Gebäude.
Jeder Spieler baut, wenn er am Zug ist, aktuell immer an einer Poststrecke. Dazu verfügt er über eine unterschiedlich große Menge an Stadtkarten. Weiter bauen kann man stets nur an einem der beiden Enden der selbst gewählten Route und immer nur bis zur nächst folgenden Stadt. Kann der Spieler keine passende Stadtkarte anlegen, wandert seine aktuelle Strecke auf den Ablagestapel. In diesem Fall schwindet die Chance, dass der Postillion am Ende für ihn die Siegerfanfare bläst.
Keine Stadt wird von einer Postkutsche während einer Fahrt zwei Mal angesteuert. Ist die Strecke, die mindestens drei Städte verbinden muss, abgeschlossen, werden die Poststellen - kleine Holzhäuschen - eingerichtet. Dabei darf der Spieler wählen, ob er alle von ihm verbundenen Städte einer Region oder je eine Stadt in allen von ihm angesteuerten Regionen gewertet wissen will. Für bestimmte Streckenlängen und regionale Verteilungen erhält der, der sie zuerst erreicht, Bonusplättchen. Je länger außerdem die Strecke ist, desto mehr »PS«-Punkte (Pferdestärken) zeigt die Postkutschenkarte, die man dafür erhalten kann.
Von Runde zu Runde müssen also immer neu Entscheidungen gefällt werden. Setze ich auf eine lange Strecke, oder sichere ich mir lieber zunächst einige Poststellen, indem ich mich mit der kurzen Strecke zufrieden gebe? Ärgere ich meinen Mitspieler, in dem ich ihm die Stadtkarte, auf die er offenbar ein Auge geworfen hat, wegstiebitze?
Zum Glück erlauben »Amtspersonen« in jeder Runde eine Sonderaktion. So verhilft der brave Postmeister zu einer weiteren Stadtkarte. Der Amtmann tauscht dagegen die gesamte Kartenauswahl. Der Postillion macht es möglich, dass ich meine Strecke um eine Stadt verlängere. Und der Wagner »tunt« die Postkutsche so, dass sie gleich mit zwei zusätzlichen PS in meine Garage fährt.
Hat ein Spieler entweder eine Siebener-Kutsche ergattert oder alle Holzhäuschen aus seinem Vorrat eingesetzt, ist das Spielende gekommen. »Thurn und Taxis«, bei Hans im Glück zum Preis von knapp 25 Euro erschienen, ist rundum gelungen. Das galt nach Meinung vieler Spiele-Fans übrigens auch schon für Seyfarths früheres Spiel »Puerto Rico«, das sich 2002 allerdings bei der Wahl zum »Spiel des Jahres« hinter »Villa Paletti« (Zoch-Verlag) nur mit dem zweiten Platz zufrieden geben musste. Doch während »Puerto Rico« vor allem bei den Anhängern von Strategie-Spielen auf große Resonanz stieß, eignet sich »Thurn und Taxis« für alle Klassen -Êfür den Postboten ebenso wie für den Postdirektor. Taktik und Glück halten sich fast die Waage. Darum ist das Spiel auch absolut familientauglich. Bernhard Hertlein

Artikel vom 22.07.2006