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Die Ölkrise im Gefolge des Nahostkrieges müsste die Europäer eigentlich wachrütteln.

Leitartikel
Ölpreise

Europas
Abhängigkeit
wächst


Von Jürgen Liminski
Halbzeit bei den Schulferien in NRW und wer noch verreisen will, sollte auf die Bahn umsteigen, wenn er es kann. Denn der Benzinpreis bleibt hoch, es droht eine neue Ölkrise. Der Krieg in Nahost hat den Preis auf ein Allzeithoch getrieben, in Dimensionen, von denen die Grünen früher träumten.
An die 80 Dollar müssen die Industrienationen für ein Fass Rohöl bezahlen, an der Zapfsäule bedeutet das Superpreise von 1,40 bis 1,50 Euro, und es könnte noch teurer werden. Der Krieg zwischen Israel und den Terror-Organisationen Hisbollah und Hamas ist nur ein Grund, wenn auch der psychologisch am stärksten wirkende. Hinzu kommen die Förderausfälle im Irak wegen des Bürgerkrieges im Zweistromland, weitere Ausfälle durch wachsende Unruhen im Förderland Nigeria und schließlich der Atomstreit mit dem Iran, der ebenfalls die geopolitischen Risiken steigert.
Gleichzeitig steigt die Nachfrage, Boom-Land China kauft überall Reserven auf, auch in Afrika.
Der steigende Preis und die drohende Knappheit auf den Märkten (nicht der Reserven) zeigt einmal mehr die Abhängigkeit Europas von Energie-Importen. Profiteur der Lage ist Wladimir Putin. Der russische Präsident verfolgt schon seit längerem das Ziel, über die Energieströme wieder zur Weltmacht zu avancieren.
Konkret: Eine Kooperation Russlands, des größten Energielieferanten mit den Saudis oder Iranern und anderen Golfstaaten, insbesondere Katar (Erdgas), könnte die energiepolitische Abhängigkeit Europas bis zur politischen Willfährigkeit erhöhen. Das aber ist nur die erste Stufe.
Die zweite Stufe besteht darin, die Atomenergie auszubauen, um die Binnennachfrage zu befriedigen und dafür mehr Öl und Gas exportieren, sprich: die Abhängigkeit Europas von den russischen Lieferungen erhöhen zu können.
Die Ölkrise im Gefolge des neuen Nahostkrieges müsste die Europäer, insbesondere die Deutschen eigentlich wachrütteln. Aber es sieht nicht so aus. Statt eine Diskussion über die Atomenergie oder über eine stärkere, auch umweltfreundlichere Nutzung der Kohle zu beginnen, diskutiert man über die misslungene Gesundheitsreform. Dabei ist längst die Konjunktur in Gefahr.
Der anhaltend hohe Ölpreis droht die Konjunktur schon in diesem Jahr abzuwürgen. Auf jeden Fall entzieht er den Industrieländern Kaufkraft. Das aber liegt nicht im Interesse Moskaus. Man ist zufrieden, dass der Ölpreis in fünf Jahren von 20 auf fast 80 Dollar pro Barrel geklettert ist. Mehr würde die Nachfrage senken und sich schon bald negativ auswirken, sprich: auch die politische Abhängigkeit Europas von Russland abschwächen.
Deshalb ist man an einer Preisstabilisierung, mithin an einer Eindämmung des Nahost-Kriegs und der Atom-Krise mit dem Iran interessiert. Schon damit die Europäer sich nicht auf ihre eigenen Energiequellen und Kräfte besinnen.

Artikel vom 19.07.2006