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Das 100. Kunstherz eingesetzt

Patient braucht Spenderorgan - Pumpe soll Wartezeit überbrücken

Von Christian Althoff
Bad Oeynhausen (WB). 17 Tage, nachdem Ärzte ihm in Bad Oeynhausen ein Kunstherz eingepflanzt hatten, scherzte Dieter Marczinczik (59) gestern schon wieder mit den Krankenschwestern. Der Maschinenschlosser aus Gelsenkirchen ist der 100. Patient, der im NRW-Herzzentrum ein »Cardiowest«-Kunstherz bekommen hat.

Viel Stress, bis zu 80 filterlose Zigaretten am Tag, und das seit 30 Jahren: Nach vier Herzinfarkten war Dieter Marczinczik nur noch ein Wrack. »Ich kam schon nach ein paar Schritten außer Atem und fühlte mich benebelt. Außerdem hatte ich keinen Appetit und lag fast nur noch im Bett.« Denn sein Herz war schwerst geschädigt und pumpte nur noch ein Fünftel der normalen Blutmenge.
Nur ein Spenderorgan kann dem Frührentner auf Dauer helfen, doch auf der Warteliste stehen derzeit bundesweit 857 Patienten. »Da die große Gefahr bestand, dass das kranke Herz Blutgerinnsel bildet, die zu einem Schlaganfall führen können, haben wir das Herz entnommen und durch ein Kunstherz zersetzt«, erklärt Prof. Reiner Körfer, Ärztlicher Direktor des NRW-Herzzentrums. Auch in Fällen von Herztumoren gebe es keine andere Möglichkeit, als das Organ zu entnehmen und durch ein »Cardiowest« zu ersetzen.
In einer sechsstündigen OP hatte Oberarzt Dr. Latif Arusoglu dem Gelsenkirchener die 248 Gramm schwere Pumpe in die Brust gesetzt. Angetrieben wird sie durch eine waschmaschinengroße Kompressoranlage neben dem Bett, von der Schläuche in die Brust des 59-Jährigen führen. In drei Wochen wird diese Anlage durch einen tragbaren Rucksack-Kompressor ersetzt, mit dem Dieter Marczinczik nach Hause entlassen wird. »Dort kann ich mich sechs Stunden frei bewegen, bevor die Akkus im Rucksack wieder aufgeladen werden müssen«, erklärt der Patient, der von einer völlig neuen Lebensqualität berichtet: »Vor der OP ging es mir richtig dreckig. Jetzt fühle ich mich gut und bin froh, dass ich lebe«, lächelt er.
Das »Cardiowest« ist nicht als Dauerlösung gedacht, sondern soll die Zeit bis zur Implantation eines Spenderorgans überbrücken. »Einer unserer Patienten lebt bereits seit zwei Jahren zu Hause mit einem solchen System«, sagt Dr. Aly El Banayosy, der das Kunstherzprogramm in Oeynhausen leitet. »Wir haben seit 2002 durchschnittlich 25 Cardiowest-Herzen pro Jahr implantiert - so viele wie weltweit keine andere Klinik«, erklärte der Oberarzt. Er verwies darauf, dass auch die tragbare Steuerung, mit der die Patienten nach Hause entlassen werden, maßgeblich in Oeynhausen entwickelt worden sei. »Wegen unserer Erfahrung hat uns der Hersteller Wartung und Reparatur des Kunstherzens für ganz Europa übertragen«, sagte Banayosy.
Der älteste Patient, in dessen Brust eine »Cardiowest«-Pumpe arbeitet, ist 76 Jahre alt, der jüngste ist gerade 17. Beide hoffen, bald ein Spenderorgan zu bekommen - wie Dieter Marczinczik, der seit acht Monaten auf der Warteliste steht.

Artikel vom 18.07.2006