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Leichtathletik-DM ein
Fest des Mittelmaßes

Weder Show noch Leistung stimmten im Ulm

Ulm (dpa). Hinter verschlossenen Türen bastelten die »Leistungshüter« der deutschen Leichtathletik gestern am EM-Team für Göteborg. Verbands-Chef Clemens Prokop sorgte sich derweil um den Show-Wert der olympischen Kernsportart.

»Die Situation ist nicht unproblematisch. Das Interesse hat nachgelassen«, stellte der DLV-Präsident fest und forderte: »Wir müssen den Unterhaltungswert steigern und den Fokus verstärkt auf die Öffentlichkeit richten.« Einen Imagegewinn verspricht sich Prokop vom World Athletics Final in Stuttgart (2006 bis 2008), dem Europapokal 2007 in München und der WM 2009 in Berlin.
Die 106. deutschen Meisterschaften in Ulm bestätigten die Befürchtungen des Präsidenten: kein deutscher Rekord, keine Jahresweltbestleistung, nur wenige »Hausrekorde« und EM-Normen, im Windschatten der Tour de France diktierte Fernsehzeiten und lediglich 16 000 Zuschauer am gesamten Wochenende. Nur die Sonne über dem Donaustadion war beim »Festival des Mittelmaßes« - drei Wochen vor den EM in Schweden (7. bis 13. August) - schon in Höchstform.
In seiner fast durchweg positiven Einschätzung der Mittelmaßschau stand Jürgen Mallow, der Leitende DLV-Bundestrainer, deshalb ziemlich allein auf weiter Flur. Die wenigen Top-Leistungen - fast durchweg von Oldies erzielt - stellte er immer wieder heraus, die Masse der durchschnittlichen Ergebnisse wurden nur am Rande erwähnt. »Die Bilanz fällt positiv aus«, sagte Mallow zweieinhalb Wochen nach dem Europacup-Desaster von Malaga, wo die Männer als Pokalverteidiger als achte und vorletzte dem Abstieg nur entgingen, weil München im kommenden Jahr Gastgeber ist.
Zu den wenigen Lichtblicken zählten trotz des letzten Platzes von Europameister Ingo Schultz die 400-Meter-Läufer: Gleich ein Quintett blieb im Finale überraschend unter 46 Sekunden. Mit dem neuen Meister Kamghe Gaba (Frankfurt/45,47) an der Spitze kann sich die deutsche Staffel nun sogar Hoffnungen auf eine EM-Medaille machen. »Platz drei bis fünf ist drin«, meinte Mallow, der alle vier Staffeln vorschlagen will und von einer Teamstärke »70 plus x« ausgeht.
Schon lange nicht mehr hatte der DLV bei der Nominierung für ein internationales Ereignis Überstunden machen müssen. In der Regel wurde das Team am Vormittag nach den Meisterschaften bekannt gegeben - diesmal wird das Geheimnis erst heute gelüftet. Zahlreiche knifflige Fälle müssen diskutiert werden, außerdem sollen Gespräche mit einzelnen Athleten geführt werden.
Im Speerwerfen der Männer gibt es zwar ein Quartett mit EM-Norm, die geforderte zweite Leistung fehlt aber einem Trio. »Im Speerwurf hat sich einiges bewegt - da wird es schwierig«, erklärte Cheftrainer Mallow. Harte Nüsse müssen die Entscheidungsträger um DLV-Vizepräsident Leistungssport Eike Emrich auch in einigen anderen Disziplinen knacken.
Ganz schwierig wird der Fall Monika Gradzki. Die Wattenscheiderin jubelte am Sonntag Minuten lang wohl nur über ihren 800-Meter-Titel - über die Zeit von 2:05,40 Minuten kann sie sich allerdings kaum gefreut haben: Damit wäre sie nicht einmal vor 50 Jahren in der Welt auf Platz 1 gelaufen.

Artikel vom 18.07.2006