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Kinder bangen um ihre Mutter

38-jährige Inaam Hammoud aus Bad Oeynhausen sitzt in Beirut fest

Von Thomas Hochstätter
Bad Oeynhausen (WB). Früh am Dienstagmorgen sollten Inaam Hammoud (38) und ihr Sohn Hassan (13) in Frankfurt aus der Lufthansa-Maschine steigen. Die Rückkehr von einem vierwöchigen Verwandtenbesuch im Libanon. Doch von diesem Plan ist nichts geblieben. Jetzt geht es um Leben und Tod.
Mama soll nach Hause kommen: Die Bad Oeynhausener Grundschülerin Samar zeigt Fotos ihrer Mutter Inaam und ihres Bruders Hassan. Sie sind in die Beiruter Kriegswirren geraten. Die Geschwister (v.l.) Kamar, Mariam, Ali und Vater Hussein sind mit den Gedanken im Libanon. Foto: Hochstätter

Die Frau aus Bad Oeynhausen sitzt in Beirut fest und muss die israelischen Raketenangriffe ertragen. Zu Hause bangen Ehemann Hussein Yusef (42) und Hassans sechs Geschwister.
Das Mobilfunknetz funktioniert noch. »Hallo?«, sagt Inaam Hammoud. Stimmengewirr im Hintergrund. Sie ist sehr aufgeregt: »Ich möchte hier weg. Ich kann nicht mehr. Wir haben so viel Angst«, ruft sie in ihr Telefon. Sie erzählt, 200 Menschen hielten sich mit ihr und ihrem Sohn in einem Park in der Nähe des libanesischen Innenministeriums in Beirut auf. Sie sei einem Nervenzusammenbruch nah. »Die Raketen fliegen über unsere Köpfe«, erzählt sie.
Die Stimme aus dem Kriegsgebiet kommt in einer anderen Welt an, in einem friedlichen sonnigen Garten vor einer Doppelhaushälfte in Bad Oeynhausen (Kreis Minden-Lübbecke). »Was hat sie gesagt?«, fragt Mariam mit bangem Blick. Die 15-Jährige denkt darüber nach, dass sie jetzt eigentlich auch mit im Libanon wäre, Oma besuchen. Mariam weiß genau, wovor sie Angst hat. In den vergangenen Tagen hat sie mit ihren Geschwistern stundenlang Nachrichten gesehen.
Hussein Hammoud sagt, seine Frau habe am Sonntag eigentlich zur deutschen Botschaft gewollt. Doch nach einem Bombentreffer auf der Straße vor ihr habe sie dieses Vorhaben aufgegeben. Zu ihren Verwandten bestehe zwar nach wie vor Telefonkontakt, aber sich zu treffen, das sei viel zu gefährlich, sagt Hussein Hammoud. »Ich esse nicht mehr, ich lache nicht mehr. Ich bin mit meinem Gedanken in Beirut.«
Der arbeitslose Familienvater, der in seiner Heimat Polizist war, kennt den Krieg, hat selbst gekämpft und mehrere Narben davongetragen. 1986 ist er zum ersten Mal nach Deutschland geflüchtet. Sein Heimatdorf war zerstört worden, in Beirut fanden die Bauersleute keine Arbeit, dann wurde der Bürgerkrieg immer schlimmer. »Schiiten, Sunniten, Juden und überall Gewalt«, sagt er. Zwei Jahre lebte Hussein Hammoud mit Frau und Kindern in Osnabrück, kehrte Ende der achtziger Jahre in den Libanon zurück. »Das war doch meine Heimat«, sagt er. Aber 1989 verlor seine schwangere Frau dort nach einer Explosion ihre ungeborenen Zwillinge. 1990 kehrte die Familie über Schweden und Polen nach Deutschland zurück.
Auf die Ausreise nach Deutschland wartet weiter auch der Libanese Ramy Taktak (30) aus Bielefeld. Der Sportstudent war vor drei Wochen, wie berichtet, in die Beka'a-Ebene nahe der syrischen Grenze gereist, um seine Eltern zu besuchen. Dann wurde der Flughafen in Beirut von der israelischen Armee zerstört.

Artikel vom 17.07.2006