15.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Hisbollahs Spiel mit dem Feuer
droht Libanon erneut zu spalten

Beiruts Regierung zwischen allen Stühlen - Iran und Syrien Drahtzieher?

Von Ulrike Koltermann
Beirut (dpa). Von einer zerstörten Brücke in Beirut hing am Freitag ein Transparent mit den Worten »Made in Israel«. Nach den massiven Angriffen ist die Wut auf Israel im Libanon groß. Der Flughafen ist nicht mehr benutzbar, die wichtigste Landverbindung nach Damaskus zerstört, in einigen Stadtteilen gibt es keinen Strom.
Die israelische Luftwaffe bombardierte am Freitag erneut den Flughafen in Beirut sowie das Hauptquartier der radikal-islamischen Hisbollah im Süden der libanesischen Hauptstadt. Fotos: ReutersZerstört wurde auch die Autobahn zwischen der libanesischen Hauptstadt und Damaskus. Sie ist die einzige Landverbindung zur arabischen Welt.
Mehr als 60 Tote sind zu beklagen. Doch die Angriffe haben mehr zerstört als Infrastruktur. Das Land hatte gerade begonnen, sich von dem jahrelangen Bürgerkrieg zu erholen. Christen, Sunniten und Schiiten bildeten nach der Parlamentswahl im vergangenen Jahr eine gemeinsame Regierung, um das Land wieder aufzubauen.
Die militärischen Aktionen der Hisbollah, die den israelischen Gegenschlag provozierten, drohen das Land erneut zu spalten. Viele Libanesen verübeln es der radikalen Schiiten-Miliz, dass sie das Land in einen neuen Krieg zieht. Der Oppositionspolitiker Walid Dschumblatt, Vertreter der drusischen Minderheit, nannte das Vorgehen der Hisbollah-Milizen am Freitag »skandalös«. Der Libanon müsse einen hohen Preis dafür zahlen. Die libanesische Zeitung »Daily Star« sprach von einem »Spiel mit dem Feuer«, das eine israelische Kollektivstrafe nach sich ziehe.
Die libanesische Regierung sitzt unterdessen zwischen allen Stühlen. Zwei ihrer Minister gehören der Hisbollah an. Das ist für Israel Grund genug, die Angriffe der Hisbollah auf Nordisrael und die Entführung israelischer Soldaten als Kriegserklärung aus Beirut aufzufassen.
Auch im eigenen Land wird die Kritik immer lauter, dass die Hisbollah-Miliz ungeachtet einer UN-Resolution von 2004 noch immer nicht entwaffnet ist.
Im Süden Libanons, wo die Menschen nicht mehr viel zu verlieren haben, ist die Unterstützung für die Hisbollah noch immer ungebrochen. Die islamistische Bewegung unterhält in der Region Schulen, Krankenhäuser und Sozialwerke. »Nasrallah ist der Größte, wir vergießen unser Blut für ihn«, skandierten Hisbollah-Anhänger nach den jüngsten Luftangriffen.
Der 46 Jahre alte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah gilt vielen Arabern als einziger, der mit Israel auf Augenhöhe verhandeln kann. Vor gut zwei Jahren handelte er bereits - unter deutscher Vermittlung - einen Gefangenenaustausch aus, bei dem mehr als 400 palästinensische Häftlinge freikamen. Sollte ihm nun Ähnliches gelingen, dürfte das Ansehen der Hisbollah in der arabischen Welt wieder beträchtlich steigen.
Unterdessen können sich Syrien und der Iran, die als Unterstützer der Hisbollah gelten, nach Ansicht von politischen Beobachtern die Hände reiben. Beide Länder bestreiten, dass sie für die jüngsten Gewaltausbrüche mitverantwortlich seien. Sie haben jedoch großes Interesse daran, Israel so weit zu provozieren, dass es durch seine harsche Reaktion internationale Kritik auf sich zieht.
Über Beirut, das in den 60er und 70er Jahren als Paris des Nahen Ostens galt, hingen am Freitag die Rauchschwaden der Bombeneinschläge. Die arabischen Touristen, die seit kurzem wieder ins Land kamen, um am Meer und in den Bergen die Sommermonate zu verbringen, verließen fluchtartig das Land.
Mittlerweile sind fast alle internationalen Verbindungen abgeschnitten. Der einzige Ausweg führt über Landstraßen Richtung Syrien. »Unser Land ist im Krieg«, schrie eine verschleierte Frau, die mit ihren Kindern aus Angst vor weiteren Luftangriffen aus ihrer Wohnung im Süden Beiruts floh.

Artikel vom 15.07.2006