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»Sitzen hier wie im Gefängnis«

Ramy Taktak aus Bielefeld vom israelischen Angriff im Libanon überrascht

Von Gerhard Hülsegge
Bielefeld (WB). Der Krieg in Nahost hat Bielefeld erreicht. Ramy Taktak (27), Sprachstudent und gebürtiger Libanese, wollte eigentlich nur seine Familie und einen Freund in seiner Heimat besuchen. Nachdem die Israelis den Beiruter Flughafen bombardiert und eine Luft und Seeblockade gegen den Libanon ausgesprochen haben, sitzt er fest. Und Ehefrau Kendra (30) ist in großer Sorge.

»Es ist fürchterlich, überall schlagen Bomben und Raketen ein. Die Menschen sitzen zu Hause wie in einem Gefängnis«, so Ramy Taktak gestern im Gespräch mit dem WESTFALEN-BLATT. Nur übers Telefon kann noch Kontakt zur Außenwelt gehalten werden. »Die Straße zum Flughafen ist zerstört. Niemand kommt hier weg«, berichtetet der Mann, der seit 2002 in Deutschland lebt und in Hillegossen wohnt.
Der Schlag der Israelis gegen die Hisbollah nach der Entführung von zwei Soldaten kam für die Libanesen völlig überraschend. »Donnerstagabend sah man überall Feuer, es gab Verletzte, Autos sieht man kaum noch auf den Straßen. Es ist schrecklich, jeder hat Angst«, meinte der Sunnit, der sich zurzeit bei seiner Mutter, seinem Vater und seinen drei Geschwistern in Zahle, einem Ort 55 Kilometer von Beirut entfernt, aufhält.
Die Stadt liegt 945 Meter über dem Meeresspiegel am Rande der fruchtbaren Beka'a-Ebene auf den östlichen Ausläufern des Libanongebirges. Vom Ufer des Barduni ist es nicht weit bis zur syrischen Grenze. Von Idylle kam momentan indes nicht die Rede sein. Ramy Taktak: »Heute geht niemand zur Arbeit oder zur Schule«. Sorgen macht er sich um die Zukunft seiner Landsleute. Viele leben vom Tourismus.
In der Beka'a Ebene werden wie im Süden Beiruts viele Stellungen der antizionistischen und islamistischen Hisbollah vermutet. Die Israelis hatten die Bombardierung der Hauptstraße durch den Abwurf von Flugblättern angekündigt. Der Libanese aus dem Bielefelder Ortsteil Hillegossen hatte seinem Freund Sharif aus Deutschland einen Schäferhund mitgebracht. Vierbeiner »Zorban« verbringt wie die meisten Menschen im Libanon jetzt allerdings die Zeit damit, die Nachrichten im Fernsehen zu verfolgen.
Ramy Taktak will jetzt versuchen, sich mit dem Auto nach Syrien durchzuschlagen, um von dort nächsten Samstag die Rückreise nach Deutschland anzutreten. Im Winter möchte er die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen. Ehefrau Kendra Taktak ist gerade dabei, den Doktortitel der Philologie zu erwerben. Derweil steht sie in täglichem Telefonkontakt mit Ehemann Ramy. Dessen Heimat hat die studierte Germanistin nicht nur anlässlich der gemeinsamen Hochzeit 2003 im Libanon kennen und lieben gelernt. Für die gemeinsame Reise in den Osten fehlte vor gut drei Wochen das Geld. Dass sie nun um das Leben ihres Mannes fürchten muss, konnte sie nicht ahnen. »Mir ist es lieber, er ist jetzt bei seinen Eltern als in Beirut«, betonte sie im WB-Gespräch. Dort sei er zumindest jetzt noch »zehn Minuten ab vom Schuss«. Sie hofft, ihn bald wieder in die Arme schließen zu können.

Artikel vom 15.07.2006