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Bush setzt Charme-Offensive
gegenüber Deutschland fort

US-Präsident lobt »großartige Bundeskanzlerin« - nur wenig Protest

Von Ulrich Scharlack
und Christian Andresen
Stralsund (dpa). Das war ganz nach dem Geschmack von George W. Bush: Winkende Schüler mit amerikanischen und deutschen Fähnchen bei strahlendem Sonnenschein, neben ihm seine »Freundin« Angela Merkel, die er kurz nach dem Verlassen der gepanzerten Limousine erstmals mit Küsschen rechts und links begrüßt hatte.
Laura Bush besuchte gestern die Kinderbibliothek in Stralsund. Sie überreichte dort den jungen Leuten 300 englischsprachige Bücher. »Lesen ist eine wunderbare Art, neue Interessen zu entwickeln und Spaß zu haben. Lesen bedeutet aber auch, dass man Ideen frei diskutieren kann. Dies ist Beweis einer demokratischen Gesellschaft«, sagte sie.
Erstmals in ihrer achtmonatigen Amtszeit ist Angela Merkel gestern bei einem größeren offiziellen Termin von ihrem Mann Joachim Sauer begleitet worden. Der Chemieprofessor hatte selbst die Vereidigung Merkels Ende November nicht persönlich im Bundestag verfolgt.

»Are you good?« (»Geht's Euch gut?«), rief der US-Präsident auf dem Marktplatz von Stralsund einer Gruppe von - angesichts so viel präsidialer Bürgernähe leicht überraschten - Pennälern und ihren Lehrern zu. Und: »Nice to meet you« (»Nett, Euch zu treffen«).
In der Hansestadt setzte Bush gestern seine schon vor Monaten begonnene Charme-Offensive gegenüber Merkel, und im Grunde gegenüber ganz Deutschland, mit Vehemenz fort. So als wolle er die Erinnerung an die Spannungen mit Deutschland aus der Zeit des Irak-Krieges wegwischen.
Schon in Washington im Januar und Mai hatte er Merkel umgarnt. Jetzt, in ihrem Wahlkreis, ließ er vor der mittelalterlichen Kulisse des Rathauses und der Nikolaikirche weiteres Lob für die deutsche Regierungschefin folgen, die erstmals bei einem großen Termin von ihrem Mann Joachim Sauer begleitet wurde.
Sie sei eine »großartige Bundeskanzlerin«, sagte er in seiner kurzen Rede. Er sei »sehr stolz, sie einen guten Freund nennen zu können«. Politische Beobachter weisen gleichwohl darauf hin, dass Bush wegen des Ausfalls oder der Schwächung anderer wichtiger Bundesgenossen in Europa besonders intensiv um Merkel buhlt.
Das ausgewählte Publikum, das sich da zur Begrüßung Bushs eingefunden hatte, war - abgesehen von den Schülern und 100 Soldaten der nahen Marinetechnikschule - eine wohlsituierte Gesellschaft, die sich auch beim Endspiel eines Tennisturniers treffen könnte. Viele Herren trugen Anzüge, einige Damen Hüte, und alle erwarteten geduldig und voller Spannung auf Bierbänken den Präsidenten und die Kanzlerin.
Als beide dann mit dem versteinert wirkenden SPD-Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, die Rednerbühne betraten, brandeten Beifall und Jubel auf, wurden Fähnchen geschwenkt. Dass es momentan in vielen Ecken der Welt im wahrsten Sinne des Wortes brennt, besonders im Nahen Osten - daran dachte auf dem Platz in diesem Augenblick kaum einer.
So erinnerte auch nur eine kurze Episode daran, dass die meisten Mecklenburger und Vorpommern ein gespaltenes Verhältnis zu diesem Besuch haben. Aus einer Turmluke der mächtigen Nikolaikirche ließen Aktivisten von Greenpeace ein gelbes Anti-Bush-Transparent herunter. Nur für Minuten war das Plakat zu lesen, dann wurde es entfernt - bevor der Präsident kam.
Von den Protesten, die es in der Hansestadt an diesem Tag auch gab, bekam Bush nichts mit. Die erwarteten massiven Demonstrationen blieben aber auch nahezu aus. Lediglich 1000 statt der angemeldeten 5000 beteiligten sich an der Demonstration eines linken Aktionsbündnisses entlang der abgesperrten Altstadt. Ein ursprünglich geplanter zweiter Protestzug wurde abgesagt.
Abgesehen vom insgesamt heiteren Charakters des Geschehens auf dem Marktplatz glich die Altstadt einer Geisterstadt. Die Polizei - insgesamt mit 12 500 Leuten im Einsatz - hatte alle Zugänge bereits am Vorabend versperrt. Die Stralsunderin Hanni Höpner verließ nach dem Auftritt dennoch »völlig happy« den Alten Markt. Sie hatte Bush nicht nur die Hände geschüttelt, sondern auch ein Autogrammvon dem US-Präsidenten bekommen: Mangels Papiers auf ihrem Unterarm.
Die Harmonie der Begrüßung setzte sich auch auf der gemeinsamen Pressekonferenz fort, obwohl dort nun doch die internationalen Krisen in den Mittelpunkt rückten. Aber auch hier passte zwischen Merkel und Bush inhaltlich kein Blatt. Angesprochen auf den Atomkonflikt mit dem Iran, sprach die Kanzlerin davon, dass nun, nachdem Teheran sich nicht bewegt habe, mit der Anrufung des Weltsicherheitsrats »andere Wege« eingeschlagen werden müssten.
Und auch in der Beurteilung der explosiven Lage in Nahost stimmten beide überein. Merkel verteidigte wie Bush das Selbstverteidigungs-Recht Israels. »Man muss darauf achten, dass man nicht Ursache und Wirkung durcheinander bringt.« Israel sei von der Hisbollah und der Hamas angegriffen worden. Fast war Busch kritischer in der Analyse der israelischen Bombenangriffe: Die demokratische libanesische Regierung dürfe nicht geschwächt werden.
Am Ende wollten Bush und Merkel diesen »Bilderbuchtag« trotz der Probleme einfach auch ein wenig auskosten. Bush freute sich jedenfalls schon darauf, am Abend beim gemütlichen Beisammensein im Dorf Trinwillershagen das Wildschwein anschneiden zu dürfen.
Zuvor erkundete Bush aber noch per Fahrrad die Umgebung von Heiligendamm, wo er zwei Nächte verbrachte. Knapp 50 Minuten war er zusammen mit mehreren ebenfalls radelnden Sicherheitsleuten in der reizvollen Landschaft um das erste deutsche Ostseebad unterwegs.
Der Präsident radelte im grünen Trikot, mit schwarzer Radlerhose und grauem Helm. Am Ende der Tour, die Bush in forschem Tempo angegangen war, machte der 60-jährige Präsident keinen erschöpften Eindruck.

Artikel vom 14.07.2006