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Als Kind vom Guru missbraucht

Staatsanwaltschaft Detmold will Sektenführer vor Gericht bringen

Von Christian Althoff
Oerlinghausen (WB). Ein Sekten-Guru aus Oerlinghausen (Kreis Lippe) soll vor zwölf Jahren ein Mädchen missbraucht haben. Jetzt holt ihn die Vergangenheit ein: Die Staatsanwaltschaft Detmold hat Anklage gegen den heute 51 Jahre alten Arno W. erhoben.
Guru Arno W. neben seiner Cessna 182, die der Janus-Stiftung gehört. Oben seine ebenfalls angeklagte Lebensgefährtin Julie R.
In ihrem Buch »Allein gegen die Seelenfänger« (Eichborn-Verlag, 252 Seiten, 19,90 Euro) schildert Lea Saskia Laasner neun Jahre Leben in der Sekte.

Das mutmaßliche Opfer heißt Lea Saskia Laasner (25) und ist Schweizerin. Ihre Eltern hatten Anfang der 90er Jahre ihr bürgerliches Leben aufgegeben und sich mit Sohn und Tochter der Ramtha-Sekte von Arno W. angeschlossen, die sich später in Maghan umbenannte. Ramtha soll ein 35 000 Jahre altes Geistwesen sein, das seine Botschaften über das »Medium« Julie R., die Lebensgefährtin von Arno W., an die bis zu 40 Mitglieder umfassende Gruppe übermittelte. Die Sekte lebte zunächst in Portugal und zog später ins mittelamerikanische Belize.
In ihrem 2005 erschienenen Buch »Allein gegen die Seelenfänger« schildert Laasner, wie sie und andere Kinder Sexorgien der Erwachsenen miterleben mussten. »Ich war zwölf, und mein moralisches Empfinden geriet aus den Fugen«, erinnert sich die Schweizerin in ihrem Buch. Als sie 13 Jahre gewesen sei, habe Arno W. sie zum ersten Mal missbraucht . Damals sei ihr Vater zufällig ins Zimmer geplatzt, und Arno W. habe ihn mit den Worten beruhigt, alles habe seine Richtigkeit, das Ritual sei »im Sinne unseres spirituellen Experiments und höherer Ziele vollzogen worden«.
Der schweizer Journalist und Sektenexperte Hugo Stamm, Co-Autor des Buches, geht davon aus, dass die Sektenmitglieder durchaus in dem Glauben waren, durch bestimmte Riten höhere Bewusstseinsebenen erreichen zu können. Ihrem Guru Arno W. sei es aber vermutlich nur darum gegangen, ein schönes Leben zu führen. »Er verbrachte viel Zeit im Bett und sah Videos, während die Gruppenmitglieder auf der Farm in Belize arbeiten oder Spenden eintreiben mussten«, sagt Stamm. Arno W. habe sich »sein eigenes kleines Königreich« geschaffen.
Die Sekte lebte vor allem von dem Vermögen der Mitglieder, das diese abgeben mussten, sowie von Spenden, die in Europa unter der Legende eingeworben wurden, man fördere soziale Projekte in Mittelamerika. Zu diesem Zweck hatte die Sekte die Fundus-Stiftung gegründet, Präsidentin wurde Arno W.s geschiedene Frau Gabriele. In einer Eigendarstellung der Stiftung heißt es, sie sei caritativ und verfolge keine eigennützigen Interessen. Dennoch schaffte die Stiftung auf Wunsch von Arno W. eine Cessna 182 an. Nach Ansicht Lea Saskia Laasners war der Kauf des Flugzeugs überflüssig, Arno W. habe der Gruppe aber eingeredet, er brauche die Maschine, um Waldbrände zu entdecken.
Erst nach neun Jahren konnte die Frau der Sekte entkommen. Ein örtlicher Polizist hatte ihr geholfen, aus dem Camp zu fliehen und nach Europa zu reisen. Lea Saskia Laasner war 21 Jahre als, als sie in die Schweiz zurückkehrte - ohne Schulbildung, einer normalen Kindheit beraubt. »Ich glaube, ich werde nie über das hinwegkommen, was ich erleben musste«, sagte die 25-Jährige in dieser Woche dem WESTFALEN-BLATT. »Ich mache gerade eine kaufmännische Ausbildung, und die gibt mir Halt. Trotzdem ist mein Gefühlsleben von einem ständigen Auf und Ab geprägt.« Über den mutmaßlichen Missbrauch wollte Lea Saskia Laasner nicht sprechen: »Es wird schon schwer genug, wenn ich das vor Gericht schildern muss.«
Die Schweizerin hatte in ihrer Heimat Anzeige gegen Arno W. erstattet. Doch die Behörden hatten den Fall nach Deutschland abgegeben, wo Arno W. derzeit lebt. Er und seine Lebensgefährtin Julie R. (52) sind bei seiner Mutter in Oerlinghausen untergekommen, wollen aber keine Stellungnahme zu den Vorwürfen abgeben.
Oberstaatsanwalt Diethard Höbrink will dem Guru, der früher der Baghwan-Sekte angehört haben soll, Kindesmissbrauch in neun Fällen nachweisen. Dabei soll es vier Mal zum Beischlaf gekommen sein. Angeklagt sind nur Taten, die sich während des 13. Lebensjahres des Mädchens abgespielt haben sollen. Auch Julie R. muss sich verantworten: Sie ist der Beihilfe angeklagt und soll nach Angaben Laasners bei der Entjungferung dabeigewesen sein. Gegenüber der Staatsanwaltschaft hat das Paar die Vorwürfe bestritten.
Rechtsanwältin Miriam Stüldt-Borsetzky aus Detmold, die vor Gericht der Nebenklägerin Lea Saskia Laasner zur Seite stehen wird: »Wir werden keine Verwässerung der Gerichtsverhandlung durch Diskussionen über angebliche Geistwesen und höhere Bewusstseinsebenen zulassen. Hier hat ein Erwachsener ein Kind missbraucht, und um nichts anderes geht es. Für mich ist das ein Missbrauchsprozess wie die vielen anderen auch, in denen ich Opfer vertreten habe.«
Ob die Verhandlung noch in diesem Jahr beginnt, steht noch nicht fest.

Artikel vom 15.07.2006