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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Der Fifa-Präsident Joseph S. Blatter soll sich zu folgender Äußerung verstiegen haben: »Fußball ist mehr als eine Religion, mehr als alle anderen Religionen zusammen« (»Der Spiegel«, 10.07.2006, S. 39). Vielleicht hat ihm, als er so sprach, das Hochgefühl einer Weltmeisterschaft die Sinne benebelt und den Verstand lahmgelegt. Dafür könnten ihm mildernde Umstände zugebilligt werden, und nicht jedes Wort müsste auf die Goldwaage gelegt werden. Was aber, wenn er es genauso ernst meint, wie er es sagt?
»Mehr als Religion«, das verspricht ja nicht weniger als die Erlösung der Menschheit durch Fußball. Ein Gang ins Stadion ähnelte damit nicht nur einer Pilgerreise, sondern wäre der Weg des Heils schlechthin, für den man sich - dank Fernsehen - außerdem nicht einmal mehr die Schuhe anziehen muss. Zumindest böte der Fußball, weniger pompös ausgedrückt, das sicherste Mittel zur Erziehung des Menschengeschlechts. Der Rasen wäre die moralische Anstalt, und der rollende Ball symbolisierte den unaufhaltsamen sittlichen Fortschritt. Zu schade, dass nicht immer Weltmeisterschaft ist!
In Wirklichkeit aber spiegelt ein Fußballspiel genau das, was auch sonst im Leben überall passiert: Menschen können fair miteinander umgehen, sich aber auch anrempeln und gegenseitig außer Gefecht setzen. Neben Beherrschtheit gibt es Aggressionen, und niederste Instinkte können sich ungezügelt Bahn brechen. Anständige Verlierer leben neben solchen, die es nicht ertragen können, auf den zweiten Platz verwiesen zu werden, nicht einmal im Spiel.
Als Institution zur Völkerverständigung wird der Fußball oft gepriesen, und teilweise ist er es ja auch. Aber muss nicht daneben zu denken geben, dass das Umfeld großer Fußballspiele kaum friedlich bleibt, wenn nicht riesige Polizeiaufgebote zumindest die gröbsten Auswüchse im Keim ersticken oder doch in Schach halten? Schon während der großen altgriechischen Sportwettkämpfe war es verboten, Waffen bei sich zu tragen, und man wusste sehr wohl, warum.
So erfreulich es ist, dass bei der letzten Weltmeisterschaft kaum einer seiner Hautfarbe wegen um Leib und Leben zittern musste, muss doch zugleich gesehen werden, dass dies eben nicht so selbstverständlich ist, wie es eigentlich sein sollte. Vielleicht hat auch Joseph Blatter selbst, als er den Fußball zur höchsten Religion erhob, schlicht seine eigenen Intrigen gegen Franz Beckenbauer verdrängt und vergessen. Aber das ist ebenfalls nur ein Beispiel, wie es millionenfach in vielen Variationen vorkommt.
Diese Bemerkungen wollen die Freude an einem schönen Fußballspiel oder gar die Begeisterung für eine Weltmeisterschaft nicht vermiesen. Nur gilt es dabei, auf dem Teppich zu bleiben. Dies betrifft auch die Frage, ob eine Kette von Siegen oder erst recht der Weltmeistertitel dem eigenen Nationalgefühl aufhelfen und es von Beschädigungen heilen kann. Vermutlich ist das teilweise der Fall. Der Optimismus und die Disziplin eines Jürgen Klinsmann und seiner Mannschaft können ansteckend wirken und sich auch auf andere Bereiche positiv auswirken. Umgekehrt wäre es ein Armutszeugnis, wenn das Selbstwertgefühl einer Nation Schaden nähme, nur weil deren Nationalmannschaft, die überdies nicht immer nur aus Landsleuten besteht, ein Spiel verloren hat.
Wie allem, was Menschen ins Werk setzen, haftet auch dem Fußball Zweideutigkeit an. Immer stößt man auf ein Gemisch von Gut und Böse, auf ein Ineinander von edlen und unedlen Motiven. Alles Positive hat auch seine negative Kehrseite. Der Religion ist es gegeben und aufgegeben, dies zu erkennen und zu benennen und dabei die Grenzen aufzuzeigen zwischen den Problemen, welche die Menschen selbst zu bewältigen vermögen, und ihrem unerlösten Wesen, gegen das sie aus eigener Kraft machtlos sind. Der Mensch ist und bleibt nun einmal auf die Erlösung durch Gott angewiesen.

Artikel vom 15.07.2006