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Selbstständig mit nur einem Formular

OWL-Handwerker vom Bürokratieabbau im Nachbarland angetan -Êgemeinsam für Bildung

Von Bernhard Hertlein
Nantes/Bielefeld (WB). Mühsam entfaltet Angela Rehorst, Abteilungsleiterin der Handwerkskammer OWL, sieben Blätter: »So viele muss ein Existenzgründer bei uns ausfüllen -Êmindestens.« Indessen genügt ihrer Kollegin in der französischen Stadt Nantes, Armelle Coudret, ein einziges Formular.

»In der Hinsicht können wir von unseren französischen Freunden viel lernen«, sagt Wolfgang Borgert, stellvertretender Hauptgeschäftsführer in Bielefeld, beim Arbeitsgespräch mit den Fachleuten der Partnerschaftskammer im Départment Loire-Atlantique in Nantes. Den Bemühungen, die Prozedur auch in Deutschland zu vereinfachen, fehle trotz der früheren Rückendeckung durch Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bislang der Erfolg.
Darin unterscheiden sich Nantes und Bielefeld nicht: Ein Großteil derer, die über eine Betriebsgründung oder -übernahme nachdenken, stellt das Vorhaben nach dem ersten Telefongespräch wieder ein. Jene, die dabei bleiben, erhalten in Frankreich neben dem »Meta-Formular« eine Nummer, unter der sie vom Handwerksregister bis zum Finanzamt und von der Kranken- bis zur Rentenversicherung überall gespeichert sind. Auch bei Umzügen in ein anderes der 106 französischen Handwerkskammer-Gebiete wechselt sie nicht.
Anschließend besuchen französische Existenzgründer in den 250 (Deutschland: 120) Handwerksberufen einen einwöchigen Pflichtlehrgang, in dem sie mit den wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen vertraut gemacht werden. Voraussetzung ist ein Gesellenbrief. Dazu kommt in einigen Berufen wie Optiker oder Friseure ein weitergehender Nachweis der Berufskenntnisse. In Deutschland werden nach der Änderung der Handwerksordnung nur noch in 41 Berufen ein Meisterbrief oder der Nachweis einer mehrjährigen Führungsposition im Beruf verlangt.
Mit der Eintragung in die Handwerkerliste haben die Existenzgründer in Nantes und in der ebenfalls mit OWL verschwisterten Partnerkammer in Les Sables d'Olonnes (Vendée) Anspruch auf eine zweijährige fachmännische Begleitung (»Coaching«). Der Gesellenbrief muss in Frankreich nicht vorgelegt werden; es genügt eine Ehrenerklärung.
Wie in Deutschland zählen Aus- und Weiterbildung zu den wichtigsten Aufgaben der »Chambres de métiers« (Handwerkskammern). Es gibt zwar keinen formalen Meisterbrief; wohl aber nach der Gesellenprüfung noch eine zweistufige zusätzliche berufliche Qualifikation, die sehr stark nachgefragt sei. Anders als in Deutschland fehlen nach Aussage von Luc Favennet, dem Hauptgeschäftsführer der Vendée-Kammer, sowohl Auszubildende (vor allem am Bau und in der Gastronomie) als auch Fachkräfte. Bis zu tausend Stellen könnten allein im Bauhandwerk in der Vendée sofort besetzt werden. Parallel zur dualen Ausbildung können sich Lehrlinge in Frankreich auch an staatlichen Schulen ausbilden lassen. »Diese sind aber schon deshalb weniger beliebt, weil die Übernahme-Chancen nach der Ausbildung geringer sind«, erklärte Favennet den Kollegen aus Deutschland.
Jean-Claude Choquet, Präsident der Handwerkskammer Loire-Atlantique und Vizepräsident des nationalen Handwerkskammertages in Paris, forderte anlässlich der Jubiläumsfeiern eine stärkere Förderung der beruflichen Bildung durch die EU im Rahmen des »Erasmus-Programms«. Derzeit spielten die kleinen und mittelständischen Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten -Êimmerhin 98 Prozent der Firmen in Europa - in Brüssel eine Nebenrolle. »Das muss sich ändern.«

Artikel vom 14.07.2006