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»Ich fühle mich leer und ausgebrannt«

Fixpunkt Familie: Jürgen Klinsmann führt beim Abschied nur persönliche Gründe an

Frankfurt/Main (WB/klü). Das »Projekt WM 2006« hat Jürgen Klinsmann abgeschlossen. In den kommenden Monaten gibt es für den Ex-Bundestrainer nur noch einen Fixpunkt: Seine Familie im kalifornischen Huntington Beach.

»Ich fühle mich leer und ausgebrannt«, bekannte Klinsmann bei der Pressekonferenz in der Frankfurter DFB-Zentrale. Er war nach der letzten »Feierstunde« am Sonntag, als sein Team auf der Berliner Fanmeile stürmisch umjubelt wurde, noch nicht wie erwartet nach Hause geflogen. Klinsmann hatte sich nach Baiersbronn im Schwarzwald zurückgezogen: »Hier wollte ich in aller Ruhe endgültig für mich entscheiden, wie es weitergehen wird.«
Ohne ihn - das stand vielleicht schon vorher fest. Aber die Begeisterung um seine Mannschaft, die großen Emotionen nach dem Spiel in Stuttgart, hatten ihn stark beeindruckt und noch einmal nachdenklich werden lassen: »Ich muss meine Gefühle ordnen. Auf mich ist in der letzten Zeit so viel eingestürzt.« Dabei hatte der schwäbische Realist schon vor dem WM-Anpfiff mit einer »gewaltigen Lawine« gerechnet. Jetzt musste Klinsmann, auch ein Berufs-Optimist, ehrlich zugeben, dass er die Wucht unterschätzt hatte. Diese Lawine überrollte das Land, sie erfasste auch ihn.
Deshalb die kurze Klausur im Schwarzwald, wo er sich mit seinem jetzt beförderten Assistenten Joachim Löw noch einmal ausführlich aussprechen wollte.
Jetzt, in Frankfurt, nannte Klinsmann nur »persönliche« Gründe für seinen Abschied. »Ich habe die Familie zwei Jahre vernachlässigt, ich muss jetzt wieder zurück nach Kalifornien, neu auftanken. Das kann ich im Kreis meiner engsten Vertrauten am besten. Ich will zurück in die Normalität«, stellte der Weltmeister von 1990 fest, der seiner Frau Debbie unmittelbar nach der Halbfinal-Niederlage gegen Italien schon gesagt hatte: »Ich kann das nicht mehr, ich habe nicht mehr die Kraft dazu.«
Klinsmanns Plan: Er will erst einmal ein halbes Jahr Urlaub machen, total regenerieren. Angebote, so ist der Fußball-Verband der USA stark an der Verpflichtung des Deutschen interessiert, lehnt er im Moment ab: »Das kommt überhaupt nicht in Frage.«
Nach einer Zeit des Abstands will sich der Wahl-Kalifornier wieder um seine Geschäfte kümmern, die weiter aus Deutschland von seinem Vertrauten Roland Eitel koordiniert werden. Leisten kann er sich die lange »Auszeit« locker, denn die finanziellen Reserven sind nach zwei Jahren WM-Engagement, verbunden mit lukrativen Werbe-Verträgen, ganz sicher nicht kleiner geworden.
Der Draht nach Deutschland soll aber weiter glühen. Selbstverständlich hält der »Urlauber« Kontakt zu Löw. Und auch die Spieler dürfen ihn anrufen: »Da sind Freundschaften entstanden. Wenn die jungen Kerle mal ein Problem haben, können sie mich jederzeit ansprechen«, hatte er schon in Stuttgart angekündigt.
In Frankfurt, wo einst im Sommer 2004 alles begann, ging das »Kapitel Klinsmann« am 12. Juli 2006 zu Ende. Schnell und professionell. Nur einmal, da wurde seine Stimme brüchig, da hatte er feuchte Augen. Als er dem DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder »Dankeschön« sagte, der für ihn immer ein wichtiger Ratgeber gewesen ist. Und der mit am Grab stand, als im vergangenen Jahr Klinsmanns Vater beerdigt wurde.

Artikel vom 13.07.2006