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Die meisten in der Regierung Merkel wissen: Mittelfristig ist das »Nein, danke« zur Kernkraft nicht haltbar.

Leitartikel
Kernkraft beim G8-Gipfel

Isoliert - auf
verlorenem
Posten


Von Jürgen Liminski
Umweltminister Sigmar Gabriel ist ein gewichtiger Mann im Kabinett Merkel. Aber er wird sich fragen, ob sein Gewicht mit seinen Positionen korrespondiert oder ob er mit seiner Anti-Kernkraft-Haltung nicht auf verlorenem Posten steht. Hinter ihm steht noch die SPD, aber die meisten in der Regierung Merkel wissen: Schon mittelfristig ist das »Nein, danke« zur Kernkraft nicht haltbar. Die Welt ist nicht so.
Das wird man an diesem Wochenende mit aller Wucht spüren. In St. Petersburg wird auf dem Gipfel der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt auch über die Energiesicherheit gesprochen, und sieben der acht Nationen sind dafür, die Kernkraft stärker zu nutzen. Deutschland ist isoliert. Allenfalls Italien hält sich noch ein wenig bedeckt. Die USA und Russland wollen in den nächsten Jahrzehnten jeweils an die dreißig Atomkraftwerke bauen. Auch Großbritannien bekennt sich wieder zur Kernkraft und Stromexporteur Frankreich hat seinen Standpunkt in dieser Frage noch nie in Zweifel gezogen.
Die Briten sagen in einem neuen Strategiepapier, warum der weltweite Trend zur Atomkraft stärker wird: Die hohen Erdöl- und Gaspreise und auch der Klimaschutz zwingen Produzenten und Verbraucher zu neuen Überlegungen. Solange Gas und Öl billig waren, galt Atomstrom als Schmuddelkind der Energiebranche. Jetzt strahlt es in neuem Licht, weil die unsichere Lage in Nahost und der anhaltende Atomstreit mit dem Iran den Ölpreis in schwindelnde Höhen treiben.
Atomstrom ist so wettbewerbsfähig wie nie. Und er schafft eine Energiesicherheit, unabhängig von den weltweit ausgreifenden kriegerischen Ambitionen der Islamisten. Diesen Argumenten will sich niemand entziehen. Nur die Deutschen zögern. Es stört das Harmoniebedürfnis in der Großen Koalition, die SPD stünde als Umfallerpartei da.
Die Kanzlerin muss abwägen, ob sie um des Ansehens der SPD und damit des lieben Friedens in der Koalition willen an einer wirtschaftlich unsinnigen Position festhalten oder lieber eine verbraucherfreundliche Politik machen will.
Außenpolitisch entsteht zunächst kein Schaden, im Gegenteil, die anderen sieben werden sich nur wundern und einige von ihnen klammheimlich freuen: Die Anti-Kernkraft-Haltung der Deutschen sichert den Export nach Deutschland.
Zu den Gewinnern wird auch Russland zählen. Man liefert Öl und Gas und wennÕs gewünscht wird auch Atomstrom. Tschernobyl hin oder her. Vielleicht bekommt man ja aus Deutschland die ganz sicheren Reaktortypen, damit man den energiepolitisch isolierten Deutschen zu der nötigen Energie auch die Beruhigung einer sicheren Produktion liefern kann. Das gäbe natürlich einen kleinen Aufschlag, es sei denn, die Deutschen finanzierten den Bau der neuen Reaktoren.
Auch darüber wird in St. Petersburg geredet werden. Irgendwie ist das alles absurd. Aber so ist das in der Großen Koalition.

Artikel vom 15.07.2006