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Merkel will US-Präsident Bush
morgen den realen Osten zeigen

Dritter Deutschlandbesuch - Grillen in einem früheren DDR-Vorzeigedorf

Von Ulrich Scharlack
Berlin (dpa). George W. Bush fragte der Kanzlerin beinahe Löcher in den Bauch. Immer wieder kam der US-Präsident bei den ersten Besuchen von Angela Merkel in Washington im Januar und Mai auf den Werdegang seines Gastes zurück.
Wegen des Besuchs des US-Präsidenten George W. Bush in Stralsund haben Arbeiter gestern damit begonnen, 2200 Gullydeckel zuzuschweißen, um das Verstecken von Sprengkörpern zu erschweren.
US-Präsident George W. Bush kommt für drei Tage nach Mecklenburg-Vorpommern. Morgen landet er in Rostock-Laage. Grafik: dpa
Wie das Leben der Kanzlerin in der DDR gewesen sei, wollte er en détail wissen. Wie sie studieren konnte? Wie sie nach der Wende in die Politik kam? Das alles interessierte Bush bei den Begegnungen im Weißen Haus noch mehr als ihre Haltung zu den internationalen Streitthemen. Und in blankes Erstaunen versetzte Merkel ihn, als sie berichtete, dass ihr Vater als Pfarrer einst von Hamburg, ihrem Geburtsort, in den Osten gegangen war.
Morgen wird Merkel nun ihre Erzählstunden am Ort fortsetzen können. George W. Bush soll sich bei seinem dritten Deutschland- Besuch selbst ein Bild machen, wie es nun so aussieht im einstigen sozialistischen Osten 17 Jahre nach der Wende - sofern ein halbwegs authentischer Eindruck bei solchen Visiten überhaupt möglich ist.
Die wieder in altem Glanz strahlende Hansestadt Stralsund will sie ihm zeigen. Aber am Abend auch das Örtchen Trinwillershagen 30 Kilometer von Stralsund entfernt, das zu DDR-Zeiten mit seiner LPG »Rotes Banner« eine Art DDR-Vorzeigedorf war und nach der Wende jetzt aussieht wie viele Orte in Nordvorpommern: Durchaus mit neuem Pinselanstrich versehen, aber noch den »Charme« der vergangenen Jahrzehnte verratend. Ein potemkinsches Dorf wird Bush nicht vorgeführt werden.
Merkel will ihm die Realität zeigen und ihn mit ausgesuchten, aber doch aus ihrer Sicht irgendwie repräsentativen Bürgern zusammenbringen.
Es ist eine persönliche Geste, die Merkel mit dieser Einladung an Bush verbindet - die persönlichste, die sie bislang als Kanzlerin einem Gast hat zu Teil werden lassen. In Nordvorpommern ist sie zwar nicht geboren oder aufgewachsen. Sie lebt auch nicht dort. Es ist aber ihr Wahlkreis, ihre politische Basis, von der sie 1990 ihren politischen Aufstieg startete. In Trinwillershagen wurde sie im vergangenen Sommer als CDU-Direktkandidatin bestätigt.
Damals gab es ein kleines Partei-Fest mit Wildschwein- und Rehbraten. Und so soll der Besuch des amerikanischen Gastes am Donnerstagabend enden. Ein Barbecue für den Texaner, fast wie in seiner Heimat.
Der Besuch soll vor allem der Vertiefung der persönlichen Beziehungen zwischen Kanzlerin und Präsidenten dienen. Angesichts der ersten Treffen könnte man aber fast schon fragen: Gibt es da noch etwas zu verbessern? Bush schwärmte da fast für Merkel mit Attributen wie »faszinierend« und »klug«. Es sei wichtig, »einen Partner im Frieden zu haben, der weiß, was es bedeutet, unter der eisernen Hand eines kommunistischen Machthabers zu leben«, sagte der US-Präsident Ende Mai.
Nach der vorübergehenden Eiszeit in den deutsch-amerikanische Beziehungen in der Ära von Kanzler Gerhard Schröder scheint die Bundesregierung wieder einen gewissen Einfluss in Washington zu haben. Der Direktor der renommierten American Academy, Gary Smith, meint, dass sich dies auch auf die Entscheidung der US-Regierung ausgewirkt hat, sich unter bestimmten Bedingungen direkt an Verhandlungen mit Teheran zu beteiligen.
»Deutschland ist treibende Kraft in der »E-3«-Gruppe (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) und deshalb hat Bush auch darauf bestanden, Berlin in die Sechser-Gespräche einzubeziehen, obwohl Deutschland kein ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist«, sagte Smith.
Und dennoch wird Merkel darauf achten, eine gewisse Distanz und Eigenständigkeit zu bewahren. So wird sie vermutlich das Thema Guantánamo erneut ansprechen - was ihr aber auch deshalb leicht fallen dürfte, weil die Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs den Kritikern des US-Gefangenenlagers auf Kuba neue Nahrung gegeben hat.

Artikel vom 11.07.2006