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Jetzt ist er voller unvergesslicher Erlebnisse, Eindrücke, Erfahrungen - dafür am Ende mit den Kräften.

Leitartikel
Jürgen Klinsmann hört auf

Auf den
Wogen am
Pazifik


Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Da heißt es immer von den Deutschen, sie wüssten gar nicht, was eine Woge der Begeisterung ist. Und nun, nur wenige Tage nach Ende der Fußball-Weltmeisterschaft, müssen wir einsehen, dass sie den Bundestrainer weggespült hat. Bis zurück nach Kalifornien, wo auch auf Wellen geritten wird, aber anders. Ganz entspannt und ohne Druck.
Die Intensität, die seine Arbeit mit der Nationalmannschaft vor allem während des Turniers erreichte, gab Jürgen Klinsmann unglaublich viel, sie kostete ihn auch eine Menge. Jetzt ist er voller unvergesslicher Erlebnisse, Eindrücke, Erfahrungen - dafür am Ende mit den Kräften.
Um das zu erkennen, reicht ein Abgleich der Bilder. Jürgen Klinsmann im Sommer 2004: Fast jungenhaft sind die Gesichtszüge, er wirkt frisch und motiviert. Jürgen Klinsmann zwei Jahre später: Dürr ist er geworden, müde und abgespannt. Weg ist die Angriffslust, zum Aufladen die Zeit zu kurz, so kann es nur eine Konsequenz geben. Schluss, aus, vorbei.
Hinzu kommt, dass er lieber im Schatten der Familie lebt als dauerhaft im Rampenlicht. Denn dort verbrennen auch Kultfiguren. Dann schon eher ausgebrannt am Pazifik-Strand, wo sich Klinsmann nun ein halbes Jahr von den Strapazen erholen will.
Die Begeisterungswelle und ihr Scheitelpunkt: Der 41 Jahre alte Schwabe dürfte in seinem Job keine persönlichen Möglichkeiten der Steigerung mehr gesehen haben, vielleicht war sein Plan auch von Beginn an nur auf diese zwei Jahre ausgelegt. Entweder würde die Weltmeisterschaft ein Riesending für die DFB-Auswahl und ihren Trainer oder sie und er scheitern grandios. Beides hätte Jürgen Klinsmann wenig Anlass gegeben weiterzumachen.
Die vier WM-Wochen entwickelten aber eine solche unaufhaltsame Eigendynamik, dass ein glückseliges Deutschland am Ende seinen Helden »Klinsi« gar nicht loslassen wollte. Das hat ihn gerührt und stolz gemacht. Sus-pekt fand er es trotzdem. Eigentlich ist Jürgen Klinsmann nicht massenkompatibel. Er mag es ja nicht, vereinnahmt zu werden.
Nachdem er nun so viel von sich reingegeben und bis auf die zu vernachlässigende Kleinigkeit des WM-Titels einen großen Gegenwert bekommen hat, zieht sich der Bundestrainer wieder ins Private zurück.
Deutschland soll »stürmisch« bleiben und sich von anderen Mannschaften nichts aufzwingen lassen, lautet die Botschaft, die Klinsmann hinterlässt. Wer hätte vor Monaten schon gedacht, dass man ihm bei seinem Abflug in die Wahlheimat mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen hinterherwedelt, wenn nicht sogar eine Träne oder zwei nachweint?
Manche könnten nun meinen, da haue einer ab, nachdem es doch gerade erst begonnen hat. Und kaputt sind andere auch nach so einem Turnier, ohne sich gleich aus dem Staub zu machen. Klinsmann achtete aber immer darauf, dass Fußballfelder seine Freiheiten nicht begrenzen. Er ist in der idealen Position, sich diese Einstellung leisten zu können.

Artikel vom 13.07.2006