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Stars am Abgrund
Hart
am
Ball

Von Klaus Lükewille
Die eine Seite des Zinedine Zidane: leise, gelassen, höflich, rücksichtsvoll und freundlich. Er kann ein stiller Star sein. Das zweite Gesicht des Zinedine Zidane: unbeherrscht, aufbrausend, unberechenbar, aggressiv und gewalttätig. Er kann auch ein großer Fußballer sein, der sich nicht mehr unter Kontrolle hat. Dann tritt und stößt er zu.
Tatort Olympia-Stadion Berlin. Ein Mann sieht Rot. Zunächst bei der Attacke gegen Marco Materazzi, anschließend völlig zu Recht vom Schiedsrichter. Raus! Aber sofort. So hat noch kein Weltstar die große Ball-Bühne verlassen müssen.
Dabei hätte für Zidane an diesem Abend alles so wunderbar enden können. Er schoss ein Tor im Finale gegen Italien, er gönnte sich eine kleine Pause, wurde in der Verlängerung dann wieder zum Regisseur. Alle Zeichen standen auf Sieg. Als zweifacher Weltmeister hätte Zidane seine letzte Ehrenrunde drehen dürfen - dann musste er vorzeitig in die Kabine. Was ihn zu der Tat gegen Materazzi getrieben hat, wird der Franzose wohl selbst nicht ganz genau wissen.
Doch es war kein Einzelfall. Der virtuose Spieler Zidane, er bewegt sich oft auch am Abgrund. Dann brodelt es in ihm. Dann explodiert er, dann zeigt er sein hässliches Gesicht.
14 Platzverweise belegen leider eindeutig: Dieser Weltstar ist nicht nur in Berlin entgleist. Das wurde aber höchstens kurz erwähnt. Oder gar nicht geschrieben. Denn das passte da nicht so gut rein. Berichte über ihn waren fast immer kritikfreie Hymnen. Italiens Weltmeister-Trainer Marcello Lippi hält Zidane für den besten Fußballer der vergangenen zwanzig Jahre. Das stimmt. Der Franzose ist ein Genie. Wie der Argentinier Diego Armando Maradona, der in der Zeit vor dem Franzosen, in den achtziger Jahren, die Ball- Bühne beherrschte. Eine Star-Rolle, die aber offensichtlich immer schwerer zu ertragen ist.
Zwei Weltmeister konnten sie zuletzt nicht meistern. Maradona flippte neben dem Platz aus, er schluckte Drogen. Zidane vergisst sich auf dem Rasen.
Neue Zeitzeichen? Pele und Franz Beckenbauer, die Größten vergangener Tage, sie haben ihre Titel und Triumphe relativ schadlos überstanden. Fußball-Ikonen, die keine Kratzer haben.

Artikel vom 11.07.2006