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»Ich wusste, das geht irgendwann schief«

Entertainer, Arbeitstier, Realist und Humor-Anarchist - aber dann ging Rudi Carrell ganz leise

Von Ingo Steinsdörfer
Syke (WB). Garantiert hat er auch das noch geregelt. Ein genialer Showmaster wie er hat nun einmal das Gefühl fürs »Timing«. Die Nachricht vom Tode Rudi Carrells sollte die riesige Fußball-Welt-Party in Deutschland nicht stören.

Schon am Freitag verließ der dünne Niederländer, der 40 Jahre lang in der deutschen Fernsehunterhaltung Akzente setzte wie nur wenige andere, mit 71 Jahren seine norddeutsche Wahlheimat, seinen Gutshof in Wachendorf bei Syke für immer. Doch Deutschland erfuhr erst gestern morgen davon, nachdem der größte WM-Rausch abgeklungen war.
Sein ultra-trockener bis tiefschwarzer Humor verließ den seit anderthalb Jahren Lungenkrebskranken bis zum Ende nicht. Am Sonntag schon hat die Familie mit einer sehr privaten Trauerfeier Abschied genommen - eine öffentliche hatte Carrell seinen Kindern verboten: »Aus Angst vor den Jacob Sisters!«, sagte in seinem wohl letzten großen Interview, das am 17. März im »Süddeutsche Zeitung Magazin« erschien. Und begründete: »Mit ihren komischen Pudeln zerstören sie doch jede Atmosphäre. Deshalb: keine öffentliche Beerdigung aus Angst vor den Jacob Sisters.«
Nein, Rücksichten nahm er ungern bis gar nicht. Nicht auf andere - und nicht auf sich. Dass er immerhin 70 geworden sei, das sei eigentlich ein Wunder, reflektierte er, nachdem ihm die Ärzte die Diagnose stellten. Vor seinen Shows habe er immer »fünf Tage so gut wie ohne Essen gearbeitet«, danach »nur Bier getrunken und mindestens 60 Lord Extra am Tag« geraucht. Carrell: »Ich wusste, das geht irgendwann schief.«
Freimütig bekannte er bereits im März, jetzt fühle er, dass er sterben, die Hortensien in seinem Garten wohl nicht mehr blühen sehen werde. »Glauben Sie an ein Leben danach?«, wurde er gefragt. »Nein«, antwortete der Mann, der immer mitten im Leben stand. Und beugte doch gleich auch wieder jedem Mitleid vor: »Aber meines war auch aufregend genug!« Und die Hortensien hat er nun doch noch gesehen...
Seinen Erfolg verdankte Rudi Carrell zu einem guten Teil der Respektlosigkeit, mit der er alles und jeden anging. Und der beinharten Arbeit, mit der er seine Gags einstudierte, seine Pointen perfektionierte. Witze konnte er nur so aus dem Ärmel schütteln. »Aber vorher muss man sie auch reinstecken«, ließ er Leute abblitzen, die meinten, er habe alles nur seinem Naturtalent zu verdanken. Das er natürlich hatte. Geerbt? Offenbar. Schon Großvater und Vater waren Unterhalter.
Mit 17 verließ Rudolf Wijbrand Kesselaar, geboren am 19. Dezember 1934 in Alkmaar, die Schule, um mit dem alten Herrn als Zauberer, Bauchredner und Possenreißer durch Holland zu tingeln: »Von geistig Behinderten in einem Irrenhaus bis zu den höchsten Beamten in Ministerien«. Politisch korrekt? Bloß nicht. Nach einem »Streitgespräch« mit Alice Schwarzer auf der Couch von »Wetten, dass...?« zupfte der als »Chauvi« Verschrieene einen BH aus der Jackentasche und tupfte sich damit den Schweiß von der Stirn. Aber das war später...
Sein Vater lehrte ihn, wie Unterhaltung funktioniert: »Wenn nichts mehr geht, holst du jemanden auf die Bühne. Das zieht immer.« Das tat er auch in der »Rudi Carrell Show« - so hieß er nun als Künstler - und machte damit Ende der 50er-Jahre in seiner Heimat Fernseh-Karriere. 1965 kaufte Radio Bremen den Mann damit ein. Und dieser pferdegesichtige Schlacks aus Holland, der so komisch deutsch sprach, war aus dem Stand die Samstagabend-Sensation. Das Publikum lachte Tränen über seine für damalige Verhältnisse ziemlich frechen Nummern.
Wie es weiterging, das weiß eine ganze Fernseh-Generation. Es folgten »Am laufenden Band«, »Rudis Tagesshow«, »Die verflixte 7«, »Herzblatt«, »7 Tage - 7 Köpfe« - um nur die bekanntesten Formate zu nennen. Allesamt von Rudi Carrell ausgeheckt oder im Ausland entdeckt und auf das deutsche Publikum zugeschnitten. Von Carrell als Erstem produziert - und oft genug quer durch die Senderlandschaft kopiert. Ob Überraschungs-, Casting- oder Sketch-Show, bissige Comedyrunde, Nachrichtensatire oder Flirt - Carrell hatte es als Erster.
Und so, wie er seine Mitarbeiter für den Erfolg einer Sendung scheuchen, ja auch malträtieren konnte wenn es nicht lief, wie er es im Kopfe hatte, so liebte er sein Publikum. Schlenderte durch Bremen, ließ sich ablichten, machte Jokes. »Mensch«, sagte er, »diese Leute haben mein Haus bezahlt, meinen Urlaub bezahlt, mein Auto bezahlt, alles bezahlt. Da darf ich doch ein bisschen nett sein!«
Das ganze vergangene Jahr über lebte er im Bewusstsein, dass nun irgendwann die letzte Klappe fallen würde. Von seinem Publikum verabschiedete er sich mit einem (stummen) Auftritt bei der letzten Ausstrahlung seiner RTL-Show »7 Tage - 7 Köpfe« Ende Dezember. Und mit einer bewegenden (und auch wieder schwarzhumorigen) Ansprache, als er Anfang Februar die »Goldene Kamera« für sein Lebenswerk bekam. Dünner denn je sagte er mit krächziger Chemotherapie-Stimme: »Damit kann man in Deutschland immer noch ÝSuperstarÜ werden.«
Sich selbst wünschte er, den Zuschauern »als ein Mann, der sie gut unterhalten hat«, in Erinnerung zu bleiben.
Nichts leichter als das, Rudi!

Artikel vom 11.07.2006