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Gedichte und Computer-Tipps

Dr. Konrad Gerull: Als blinder Mensch das Leben meistern

Von Annemargret Ohlig
Brackwede (WB). »Ich hatte schreckliche Angst davor, mich mit dem weißen Stock zu zeigen. Ich fühlte mich dadurch stigmatisiert«, schildert Dr. Konrad Gerull seine Empfindung, als feststand, dass er in absehbarer Zeit völlig blind sein würde.

Der Gedanke, dass »wohltätige Leute mich entweder hin und her über die Straße zerren oder einen großen Bogen um mich machen würden«, belasteten den akademischen Oberrat, der Mathematik und Physik am Oberstufenkolleg der Universität Bielefeld unterrichtete, enorm. Doch dann kam manches anders.
Gerull, der durch die erblich bedingt Netzhautdegeneration Retinitis Pigmentosa sein Sehvermögen verloren hat, stellte fest: »Als ich beim Mobilitätstraining das erste Mal mit dem Langstock durch eine Fußgängerzone ging, haben die Leute sehr positiv reagiert und eine Gasse für mich gebildet.« In 99 Prozent aller Fälle bekomme ich auch gute Hilfe, wenn ich frage.«
Der 60-Jährige, der schon als Kind vorgewarnt war - der Großvater mütterlicherseits war erblindet - berichtete im Brackweder Erzählcafé über die Retinitis Pigmentosa. Deren Folgen für sein Leben waren gravierend: Ende 2000 musste der promovierte Mathematiker seinen »Traumjob« im Oberstufenkolleg wegen seiner Erblindung aufgeben.
Zuvor hatte Gerull aber schon die Flucht nach vorn angetreten. Auf der Suche nach Möglichkeiten, den Alltag als Sehbehinderter oder Blinder dennoch so selbstbestimmt wie möglich zu meistern, kam er zu »Pro Retina Deutschland«. Deren Selbsthilfegruppe im Raum Bielefeld (200 Mitglieder) leitet er seit 20 Jahren. Außerdem ist er Hilfsmittelreferent und informiert Betroffene über die verschiedenen Möglichkeiten, das noch vorhandene Sehvermögen durch die unterschiedlichsten Hilfen auszuschöpfen.
Außerdem wusste der Mathematiker, dass der Computer in vielen Bereichen ein hervorragendes Hilfsmittel für sehbehinderte oder blinde Menschen ist - nicht nur im Arbeitsalltag. Bereits 1998 machte Dr. Gerull sich daran, die Broschüre SATIS (Software und allerlei Tipps und Tricks zur Informationsverarbeitung für Sehbehinderte) zu erstellen. Zudem schreibt der 60-Jährige Gedichte und als ausgewiesener Naturliebhaber führt er regelmäßig Vogelstimmen-Exkursionen für die Bewohner einer Blindenanstalt durch.

Artikel vom 11.07.2006