11.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

César Luis Menotti

»Deutschland hat nicht nur Dinge verändert, sondern sie auch gut gemacht.«

Leitartikel
Trainer sind Alleinherrscher

Fußball nicht
mit Politik
gleichsetzen


Von Andreas Schnadwinkel
Wenn man so will, hat Jürgen Klinsmann das geschafft, was Angela Merkel wollte, aber nicht konnte: Er hat durchregiert. Dass im Fußball das gelingen kann, wozu die Politik mangels richtungsweisender Mehrheiten nicht fähig ist, bedeutet zuerst einmal eines: Auch wenn es schwer fällt, sollten jetzt nicht ständig Mechanismen und Rezepte des »Systems Klinsmann« auf die aktuelle Politik übertragen oder damit in Verbindung gebracht werden.
Sonst wären wir - denn im Profifußball gibt es keine wirkliche Demokratie - ganz schnell bei einer der Diktatur nicht unähnlichen Staatsform.
Trainer sind Alleinherrscher, und das müssen sie auch sein, um ihre Ideen erfolgreich durchsetzen zu können. Luiz Felipe Scolari, den wir in Ostwestfalen als sympathischen und religiösen Coach der Portugiesen liebgewonnen haben, scheut nicht einmal vor Kriegsrhetorik zurück, wenn sie dazu dient, seine Mannschaft zu motivieren und eine Runde weiterzubringen.
Noch ein Beispiel dafür, dass der bezahlte Fußball eine demokratiefreie Zone ist, erlebt jetzt Otto Rehhagel, selbst Erfinder der »Ottokratur«: Der griechische Verband droht von der FIFA ausgeschlossen zu werden, weil der Einfluss der Politik auf den Verband zu groß sei. Sollte sich nach dieser Warnung nichts ändern, würde Rehhagels griechisches Nationalteam gesperrt und könnte sich als Titelverteidiger nicht für die Europameisterschaft 2008 qualifizieren. Die FIFA will eine Welt für sich bleiben, ohne Kontrolle und Einfluss von außen.
Bei der deutschen Nationalmannschaft hat Jürgen Klinsmann in den vergangenen zwei Jahren an den aus seiner Sicht entscheidenden Stellen (moderne Fitnessmethoden, jüngerer Torwarttrainer, eloquenter Teammanager) neue Konzepte gewagt und damit Erfolg gehabt - einen Erfolg wie eine riskante Wette und eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Aus anderen Ländern hat sich der Bundestrainer erstklassige Experten geholt, zum Beispiel die Fitnessgurus aus den USA und den Spielebeobachter aus der Schweiz. Übertragen auf den politischen Reformdruck wäre das etwa so, als würden das Bildungssystem aus Finnland, die Gesundheitsversorgung aus Österreich und die Unternehmensbesteuerung aus der Slowakei übernommen.
Fußball sollte nicht mit Politik verglichen oder gar gleichgesetzt werden. Oder doch? Wenn ja, dann wäre das Ergebnis: Eine Große Koalition bringt wenig, weil sich die linke und rechte Volkspartei gegenseitig blockieren. Andererseits würden von knappen Mehrheiten beschlossene, ideologisch motivierte, tiefgreifende Veränderungen kaum akzeptiert.
Zurück auf den Fußball übertragen bedeutete eine Große Koalition, dass der modern denkende Jürgen Klinsmann und der Steinzeit-Methodiker Peter Neururer gleichberechtigte Cheftrainer wären. Spätestens bei diesem Gedanken fällt auf, dass Fußball nach politischen Maßstäben niemals funktionieren könnte.

Artikel vom 11.07.2006