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Mit Spektiv und
Geduld nah am Klapperstorch

Wolfgang Pollpeter ist Ornithologe

Von Peter Monke
Sennestadt (WB). »Die Natur ist meine Kirche«, sagt Wolfgang Pollpeter. Der 53-Jährige Dalbker ist seit frühester Kindheit ein Hobby-Ornithologe und widmet jede Minute seiner Freizeit der Beobachtung von Vögeln. Am liebsten nimmt er Schwarzstörche, Kraniche oder Großtrappen, die größten flugfähigen Vögel Europas, ins Visier. Die letzten Wochen hat Pollpeter jedoch nur Augen für ein Weißstorch-Paar gehabt - dem ersten, das seit mehr als 100 Jahren im Biotop am Weserbogen zur Brut geschritten ist.

Ganz in der Nähe des Storchennestes hat der 53-Jährige seinen Wohnwagen auf einem Campingplatz stehen. Etwa zwei Kilometer Luftlinie trennen Pollpeter vom Horst. »Wenn ich will, kann ich die Tiere aus dem Liegestuhl beobachten.« Diese bequeme Position wählt der Hobby-Ornithologe jedoch nur selten - weitaus bessere Perspektiven erschließen sich ihm im Stehen. Auch von einem alten Baumstumpf aus lässt sich das Geschehen am Nest genauer beurteilen. Hier hockt Pollpeter manchmal bis zu sechs Stunden am Stück, was auf Dauer ziemlich anstrengend werden kann: »Danach tut mir oft der Hintern weh, aber solche Strapazen muss ich halt in Kauf nehmen. Nur wenn ich die Störche eingehend beobachte, kann ich definitive Aussagen treffen. Im Vorbeigehen ist das unmöglich.«
Nestaufbau, Nistmaterialien, Verhaltensweisen - unzählige Details nimmt Pollpeter bei seinen Beobachtungen unter die Lupe. Eine Unterscheidung zwischen Männchen und Weibchen ist dabei im Fall der Weißstörche extrem schwierig, da äußerlich keine eindeutigen Unterscheidungsmerkmale vorliegen. Geübte Ornithologen können die Vögel jedoch nach einiger Zeit auch am Anflugverhalten oder an der Kopfform auseinanderhalten. Einfacher ist es natürlich, wenn, wie in diesem Fall, ein Storch beringt ist und der andere nicht. »Für die Identifikation der Ringnummer habe ich aber jede Menge Geduld und Glück gebraucht«, sagt Poll-peter. Morgens um 5 Uhr, noch vor dem Sonnenaufgang, sei er aufgestanden, um beobachten zu können, wie sich der beringte Vogel nach dem Brutwechsel auf Nahrungssuche begibt. Glücklicherweise sei dieser dazu auf dem Spielplatz der Campinganlage gelandet. »Bis auf 200 Meter bin ich an den Storch herangekommen und doch hat es anderthalb Stunden gedauert, den Ring mit Hilfe eines Spektives abzulesen«, erzählt der 53-Jährige. Da das Tier auf dem Rasen herumspazierte, sei die Kennmarke meist nicht zu sehen gewesen. »Wenn er dann das Bein hob, war es das falsche oder der Ring saß mit Rasenschnitt zu.«
Dank der Kennung 2X638 lässt sich jetzt nachvollziehen, dass das Tier 2004 in Zyfflich am Niederrhein beringt wurde und damit zwei Jahre alt ist. Ein wichtiges Indiz, das zum Beispiel den schwachen Bruttrieb und das schlechte Fütterverhalten erklärt, das Pollpeter nach dem Schlüpfen eines Jungvogels beobachten konnte. »Bei jungen Storch-Eltern ist das ganz normal. Sie sind unerfahren, kennen ihr Revier noch nicht gut genug - da gehen die ersten Gelege meist in die Hose. Erst ab dem vierten oder fünften Lebensjahr ziehen Störche ihre Jungen zuverlässig groß.« Entsprechend war der Hobby-Ornithologe auch nicht überrascht, als der junge Storch nach nur wenigen Tagen von einem Radfahrer tot unter dem Horst gefunden wurde. »Ich werte es trotzdem als gutes Zeichen, dass das Storchenpaar sein Nest nach dem Tod des Jungvogels nicht verlassen hat«, sagt Pollpeter. Dieses Verhalten zeige, dass die Tiere ihr Revier grundsätzlich angenommen hätten und mit hoher Wahrscheinlichkeit im kommenden Jahr zurückkehren würden.
Bis zum Abflug im Herbst will der 53-Jährige die Störche weiter im Auge behalten, ehe dann wieder die großen Zugvogel-Wanderungen auf ihn warten. »Es ist jedes Jahr dasselbe: Kurz vorher fängt es bereits an, in den Fingern zu jucken - dann muss ich einfach los. Wenn der Virus einmal gelegt ist, fährt man einem Vogelschwarm auch 1000 Kilometer hinterher«, sagt Pollpeter. Seine bevorzugte Reisegegend ist neben Thüringen und Brandenburg eine Landzunge nahe Usedom mit Namen Fischland. »Dort kann ich 30 000 Kraniche auf einmal sehen. Andere gehen in die Oper und berauschen sich an der Musik, ich begeistere mich halt für die Farbenpracht der Natur, die letztlich niemand kopieren kann.«

Artikel vom 11.07.2006