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Kniefall vor dem Mittelalter
Paderborn wirft mit einer großen Ausstellung einen spannenden Blick auf Canossa und die Folgen Die Ausstellung über die berühmteste Demutsgeste der Geschichte ist selbst ein Kniefall vor dem Mittelalter. Bundespräsident Horst Köhler wird am Freitag in Paderborn die Schau »Canossa 1077 - Erschütterung der Welt« eröffnen. Das Erzbistum Paderborn, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und die Stadt Paderborn möchten Vorgeschichte, Begleitumstände und Folgen des Ereignisses gleichermaßen spannend wie lehrreich aufzeigen.
Bis zum 5. November erzählen 760 Zeugnisse auf 3000 Quadratmetern aus einer Zeit, in der die Kirche in höchster Machtblüte stand. »Was war 1077?«: Diese Frage stellen Lehrer seit Jahrhunderten ihren Schülern. »Als Schüler war ich empört darüber, was Heinrich IV. passierte«, erinnert sich Matthias Wemhoff. Der Direktor des Museums in der Paderborner Kaiserpfalz ist einer von drei Geschäftsführern der Ausstellungsgesellschaft Canossa, die das Konzept für die Schau erarbeitet hat. Im Januar 1077 musste Kaiser Heinrich IV. (1056 bis 1106) vor den Toren der Burg in Norditalien ehrerbietig in den Schnee sinken.
Damals tobte ein Machtkampf zwischen Papsttum und Krone über das Recht, Bischöfe und Äbte einzusetzen. Heinrich IV. beanspruchte deren Investitur für sich und forderte damit Papst Gregor VII. (1073 bis 1085) heraus. Im Verlauf des Streits belegte das Oberhaupt der Christenheit seinen Widerpart mit dem Kirchenbann; Heinrichts Gefolgsleute fielen von dem Ausgestoßenen ab und der Monarch musste den Gang nach Canossa antreten. Drei Tage lang hüllte er sich ins Büßerhemd, bis Gregor VII. den Bann löste und Heinrich wieder in die Kirche aufnahm.
»Der König, der sich selbst als Stellvertreter Christi betrachtete, in der Demutsgeste - das ist das Unfassbare an dem Ereignis«, erläutert der Direktor des Museums in der Kaiserpfalz, Matthias Wemhoff. Wie ein gewöhnlicher Laie habe Heinrich vor dem Papst Kirchenbuße tun müssen. Von der Burg Canossa ist nur eine Ruine übrig geblieben, aber als Symbol für Unterwerfung ist der Ort unverwüstlich.
Der Kniefall kennzeichnete die Krise zwischen weltlicher und kirchlicher Macht. Staat und Kirche rieben sich aneinander, grenzten sich ab und entwickelten eigenständige Strukturen. Am Ende stand das, was wir heute für selbstverständlich halten: die Trennung von Staat und Kirche.
Im Hochmittelalter kamen die Städte und das Bürgertum auf, Fürsten bauten als Gefolgsleute oder Gegner von König und Papst ihre Macht aus, und es entwickelte sich ein neues Kunstverständnis, das zur Blüte der Romanik führte.
Die Paderborner Ausstellung besteht aus drei großen Blöcken: Im Museum in der Kaiserpfalz lernt der Besucher die Hauptfiguren des Konflikts kennen. Im Diözesanmuseum liefern bedeutende Werke der Buchmalerei, Skulpturen, Elfenbeinschnitzereien und Goldschmiedearbeiten des Benediktinermönches Rogerus von Helmarshausen einen Überblick über die von religiösen Motiven geprägte Kunst zu Beginn der Romanik.
Wie sich der Kniefall von Canossa zum geflügelten Wort entwickelte und von Politikern in Dienst gestellt wurde, zeigt der dritte große Block in der Städtischen Galerie am Abdinghof. So erklärte Bismarck in der Reichstagssitzung vom 14. Mai 1872 trotzig: »Nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig.« Der Kanzler des Deutschen Kaiserreichs (1871 bis 1918) führte gerade gegen den Katholizismus einen »Kulturkampf«, denn der Einfluss aus Rom etwa auf das Schulwesen ging ihm zu weit.
Zurück ins Jahr 2006: Die Ausstellungsstücke in Paderborn sind von höchster Güte. Das gilt für das mit Edelsteinen verzierte Adelheidkreuz genauso wie für den vergoldeten Krodoaltar. »Ich bin besonders stolz auf den Goslarer Kaiserthron und den Papstthron aus dem Lateran«, schwärmt Wemhoff.
Das Museum in der Kaiserpfalz zeigt darüber hinaus 25 Funde aus dem französischen Kloster Cluny, dem religiösen Zentrum im Hochmittelalter. Darunter befindet sich ein Fensterteil der gewaltigen Chorschranken, hinter denen einst bis zu 400 Mönche beteten.
Teile der Grabstelle des Abtes Hugo von Cluny zeugen von einer der einflussreichsten Persönlichkeiten des Mittelalters. »Hugo von Cluny war eine schillernde, zentrale Gestalt der Epoche, Herr über 1000 Klöster und Bauherr der mit 180 Metern Länge damals größten Kirche der Christenheit«, erzählt Matthias Wemhoff.
In der Ausstellung spielt aber auch eine Frau eine Rolle: Mathilde von Tuszien. Die fromme Markgräfin vermittelte das welthistorische Treffen in Canossa und wird bis heute in Norditalien verehrt. Auch ihr, deren Leichnam in einem vom Renaissance-Künstler Gian Lorenzo Bernini gestalteten Grabmal im Petersdom ruht, widmet die Ausstellung eine Abteilung.
Für die Mittelalter-Schau sind bereits mehr als 1000 Führungen fest gebucht. Die Veranstalter wollen an den Erfolg der Karolinger-Ausstellung (1999) anknüpfen, die 310 000 Menschen anzog. »Wir kalkulieren diesmal mit 150 000 Besuchern, glauben aber, dass deutlich mehr kommen werden«, sagte Wemhoff. »Canossa« sei noch größer als der Vorgänger und selbst für jene, die sich nicht besonders für Geschichte interessieren, »spannend«.
Der Geschäftsführer der Ausstellungsgesellschaft rät, sich einen ganzen Tag Zeit zu nehmen. Die Domstadt verfügt mit der Klosterkirche Abdinghof, dem Busdorf-Stift und der Bartholomäuskapelle über ein reiches Erbe aus dem Hochmittelalter. Deshalb können in Paderborn Regional- und Weltgeschichte gemeinsam erzählt werden. Der Ausflug in die Vergangenheit kostet 9 Euro Eintritt. Dietmar Kemper

Artikel vom 15.07.2006