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Zidane - genial und jähzornig

Krönung bleibt dem Wiederholungstäter verwehrt - Domenech klagt an

Von Klaus Lükewille
Berlin (WB). Kein Blick zurück. Kein Blick nach links. Kein Blick nach rechts. Da stand der goldene Pokal. Den hatte Zinedine Zidane 1998 in der Hand. Jetzt ging er mit gesenktem Kopf an der WM-Trophäe vorbei, die steinernen Stufen hinunter. Und verschwand in der Kabine. Au Revoir. Auf Nimmerwiedersehen.

Denn den Rasen wird dieser Weltklasse-Fußballer nicht mehr betreten. Im Berliner Finale gegen Italien musste ihn der Franzose nach 110 Minuten vorzeitig verlassen. Rot! Die Pfiffe seiner Landsleute nach dem Platzverweis galten aber nicht ihm, sondern den Italienern. Sie vermuteten eine Schauspielerei des immer noch am Boden liegenden Marco Materazzi, denn die meisten hatten die Tätlichkeit ihres Kapitäns gegen den Verteidiger nicht gesehen.
Wie der Schiedsrichter. Wie dessen Gehilfen an der Linie. Aber der vierte Mann, der war auf Ballhöhe: Der Spanier Luis Medina Cantalejo informierte den Argentinier Horacio Elizondo, seinen Chef mit der Pfeife. Und der zückte mit Verspätung die Rote Karte. Italiens Trainer Marcello Lippi stellte fest: »Ich bin ein großer Verehrer von Zidane. Er war der beste Spieler der vergangenen 20 Jahre. Es tut mir leid um Zinedine - aber der vierte Unparteiische, der ein paar Meter neben mir stand, der hatte alles gesehen.«
TV-Zeitlupen dokumentierten anschließend in mehreren Wiederholungen, wie der Franzose ausgerastet war. Nach einem Wortgefecht mit Materazzi hatte sich Zidane schon umgedreht, dann kam er zurück - und rammte den Italiener mit einem Kopfstoß um. Sein Trainer Raymond Domenech glaubt: »Zinedine muss vorher provoziert worden sein.«
Wenn schon: Beleidigungen auf dem Platz gehören zu dem Geschäft, dass der Profi Zidane seit 16 Jahren betreibt. Und der Blick in seine persönliche Statistik belegt dann leider, dass dieser so großartige Spieler auch ein sehr jähzorniger Mann sein kann.
14 Platzverweise sind da verzeichnet. Hier handelt es sich also um einen Wiederholungstäter, der zum Beispiel in der Champions-League 2000 gegen den HSV schon einmal den Kopfstoß als foule Waffe eingesetzt hatte. Damals war Jochen Kientz das Opfer. Selbstverständlich sah Zidane, der unbeherrschte Regisseur von Juventus Turin, die Rote Karte.
Diese Farbe kennt der 34-Jährige also, dieser »Karton« beendete jetzt in Berlin seine Karriere. Im WM-Finale. Welch ein bitterer Abschied. Bei seiner ersten WM, vor acht Jahren, war er ebenfalls schon einmal vom Platz geflogen. In der Vorrunde gegen Saudi-Arabien trat Zidane nach, nach der Sperre aber wieder ganz groß auf: Beim 3:0-Triumph im Pariser Finale gegen Brasilien erzielte er zwei Tore, wurde als weltmeisterlicher Held gefeiert.
Zidane, die finale Entscheidungsfigur: 1998 waren es zwei Kopfbälle, jetzt ein Kopfstoß. Trotz der Tätlichkeit von Berlin, eine Ausnahmeerscheinung ist Zidane für Thierry Henry immer noch. Die Laudatio des Stürmers: »Ich muss Zinedine danken. Er hat so viel für uns getan. Er ist nicht nur ein großer Fußballer, sondern eine große Persönlichkeit. Wir werden ihn sehr vermissen.«
Eine Vermisstenanzeige gab auch Willy Sagnol auf. Aber der 29-Jährige dachte dabei nicht an vergangene Zeiten, sondern an die letzten zehn Minuten der Verlängerung. Bayern Münchens Verteidiger stellte fest: »Der Platzverweis hat das Spiel verändert. Wir waren auf der Siegerstraße.« Domenech sah das genauso: »Die Rote Karte war der Knackpunkt. Ausgerechnet in der Schlussphase, als wir die Partie immer mehr dominierten, mussten wir mit zehn Mann auskommen«, sagte der Trainer. Es hörte sich wie eine Anklage gegen seinen Kapitän an - und war wohl auch so gemeint.
Doch Domenech, der von Zidanes Rückkehr in den WM-Kader ja nie begeistert gewesen ist, er fand zum Abschluss einer langen Feindschaft doch noch ein paar versöhnliche Worte: »Der Vorfall macht mich traurig. Zidane hat eine große WM gespielt. Mir wäre es viel lieber gewesen, wenn er fünf Minuten vor dem Abpfiff unter tosendem Jubel vom Platz marschiert wäre.«
Zidane ging ja eher, sogar noch fünf Minuten früher - aber wie. Frustriert, verbittert. Dabei hatten sie kurz vorher, als er noch Regie führen durfte, auf der Video-Wand seinen Namen extra eingeblendet: Zidane, der vierte Mann, der neben Pele, Vava und Paul Breitner in zwei Endspielen ein Tor erzielt hatte.

Artikel vom 11.07.2006