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Piloten meldeten »erfolgreiche
Landung« - dann krachte es

Mehr als 120 Tote bei Flugzeugunglück in Sibirien - auch ein Deutscher stirbt

Moskau (dpa/Reuters). Bei der Bruchlandung eines russischen Passagierflugzeugs in Sibirien sind gestern mehr als 120 Menschen getötet worden. Bei schlechtem Wetter schoss der Airbus A-310 mit etwa 200 Menschen an Bord über die nasse Landebahn der Stadt Irkutsk hinaus.
Ein Überlebender versucht, mit Verwandten das Geschehene zu verarbeiten.

Die Maschine gehörte Russlands zweitgrößter Fluglinie Sibir. Sie prallte in eine Reihe von Gebäuden und ging in Flammen auf. Retter vermuteten zunächst mehr als 150 Tote auf Flug 778 Moskau-Irkutsk. Am Abend wurde noch von 122 bis 124 Toten gesprochen. Unter den Opfern sind russischen Berichten zufolge auch 14 Kinder, die am beliebten Baikal-See Ferien machen wollten. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier kondolierten mit Telegrammen an die russische Regierung.
Erst nach Stunden gewannen die Behörden einen Überblick, wie viele Menschen lebend aus dem brennenden Wrack gerettet worden waren. 56 lagen verletzt in Kliniken von Irkutsk, darunter eine junge Frau aus Stuttgart. Sie sei »in stabilem Zustand«, teilte das deutsche Generalkonsulat in Nowosibirsk mit. Sibir erklärte, dass zwei von drei Deutschen an Bord überlebt hätten. Elf Menschen blieben nach Zivilschutzangaben unverletzt.
Der 5000 Kilometer lange Flug von Moskau nach Ostsibirien in die Nähe des Baikalsees war völlig problemlos verlaufen. Transport-Minister Igor Lewitin berichtete, die Piloten hätten über Funk bereits erklärt, sie seien erfolgreich gelandet. Doch dann sei der Kontakt abgebrochen. »Wir waren schon normal gelandet. Doch beim Bremsen beschleunigte das Flugzeug auf einmal wieder wie zum Start«, schilderte die Überlebende Margarita Swetlowa dem Sender Baikal-TV das Unglück. Dann habe die Tragfläche sich in einem Zaun verfangen. Ein Brand brach aus. Nach kurzer Ohnmacht sei sie aus dem Flugzeug gesprungen.
Zehn Passagiere und zwei Stewardessen hätten sich selbst gerettet, sagten Feuerwehrleute. Die Flammen konnten erst nach drei Stunden gelöscht werden. Die Staatsanwaltschaft schloss weder technisches Versagen noch einen Pilotenfehler aus. Ein Terroranschlag sei unwahrscheinlich, hieß es.
Noch Stunden nach dem Unglück gab es widersprüchliche Zahlen. Sibir teilte in Moskau mit, dass 200 Menschen auf dem Flug S7-778 nach Irkutsk gewesen seien - 192 Passagiere und acht Mann Besatzung. Der Startflughafen Domodedowo sprach von 203 Menschen an Bord des Airbus. Nach Angaben des Herstellers war die Maschine mit 220 Sitzplätzen 1987 ausgeliefert worden und hatte auf gut 10 000 Flügen mehr als 52 000 Flugstunden absolviert.
Während in Irkutsk und Moskau die Familien der Fluggäste bangten, veröffentlichte Sibir eine Passagierliste. Insgesamt seien 12 Ausländer aus Deutschland, China, Polen, Aserbaidschan und Weißrussland an Bord gewesen.
Beim letzten schweren Flugzeugunglück in Russland waren erst am 3. Mai 113 Menschen ums Leben gekommen, als ein Airbus A-320 der armenischen Fluggesellschaft Armavia vor dem Ferienort Sotschi ins Schwarze Meer stürzte.
Sibir hat in den vergangenen Jahren zwei Flugzeuge ohne eigene Schuld verloren. Im Oktober 2001 schoss die Luftwaffe der Ukraine bei einer Übung versehentlich eine Sibir-Maschine über dem Schwarzen Meer ab. Alle 78 Menschen an Bord starben. Im August 2004 riss eine tschetschenische Selbstmordattentäterin auf dem Sibir-Nachtflug Moskau-Sotschi 46 Menschen in den Tod.

Artikel vom 10.07.2006