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Das war kein Patriotismus. Und erst recht kein
Nationalismus. Das war Freude pur.

Leitartikel
Ein neues Deutschland

Feiertage
und
Zahltage


Von Klaus Lükewille
Weltmeister? Aber sicher doch. Deutschland ist Weltmeister.
Nein, nicht nach dem Finale von Berlin. Da waren die Gastgeber nur noch Zuschauer. Gewonnen hatten sie bereits vorher, trotz Dortmund. Die Niederlage gegen Italien tut ein paar Tage später schon gar nicht mehr so weh. 0:2? Das war doch nur ein Ergebnis. Und was ist das schon gegen dieses Erlebnis? Deutschland im Sommer 2006. Ein neues Deutschland. Freundlich - und sogar fröhlich. Da wunderte sich die ganze Welt. Denn so locker, so unverkrampft kannten sie die meistens miesepetrigen und oft viel zu selbstkritischen Deutschen noch gar nicht.
Was der Fußball doch auslösen kann. Er verwandelte für vier Wochen eine Nation. Schwarz-rot-goldene Fahnen flatterten. Aus Fenstern. Auf Autos. An Gebäuden. Nein, das war kein Patriotismus. Und erst recht kein Nationalismus. Das war Freude pur. Ein Land zeigte Flagge. Fan-Feste. Volle Stadien. Keine Krawalle. Und die Sonne lachte dazu. Das deutsche Fußball-Dach, wochenlang von morgens bis abends himmelblau.
Die Organisation - perfekt. Das durfte von deutscher Gründlicheit erwartet werden. Die Sicherheit - garantiert. Was angesichts weltweiter Bedrohungen durch Terroristen oder Einzeltäter keine Selbstverständlichkeit gewesen ist. Die Welt war zu Gast bei Freunden. Diese Einladung darf von einigen ruhig weiter belächelt werden, sie traf aber während der WM zwischen 9. Juni und 9. Juli die Stimmung in diesem Land. Einfach weltmeisterlich. Obwohl Deutschland nicht als Champion 2006 den Berliner Rasen räumte. Ist das etwa schlimm?
Ach was, überhaupt nicht. Den Titel noch obendrauf, das wäre nach diesen vier wundervollen Wochen vielleicht des Guten doch ein bisschen zu viel gewesen. Wichtiger bleibt: Erwartungen und Hoffnungen, sie wurden übertroffen. Alle. Ja, Deutschland war ein glänzender Gastgeber. Ja, Deutschland ist 2006 endlich in der Lage, Welt-Festivals dieser Dimension so zu präsentieren, dass alle begeistert sind.
Und die Mahnungen und Warnungen im Vorfeld, als zum Beispiel die Stiftung Warentest im Januar 2006 viele Stadien als unsicher einstufte? Geschenkt. Längst als billiger Trick in Sachen Eigenwerbung entlarvt.
Diese WM 2006 entwickelte eine vorher so nicht zu erwartende Eigen-Dynamik, die Kritiker verstummen ließ. Doch ab heute gilt: Genug gejubelt. Genug gefeiert. Denn irgendwann muss auch mal Schluss sein mit dem Eigenlob, das ja bekanntlich stinken soll. Und es roch schon mächtig nach Opportunismus, als FIFA-Boss Joseph Blatter das Bundesverdienstkreuz überreicht wurde.
Wofür? Warum? Weil die FIFA während der WM-Tage viel kassiert hat, in Deutschland aber keine Steuern zahlen muss? Denn das darf bei aller Begeisterung nicht vergessen werden: Es war zwar eine rauschende und berauschende Ball-Gala, aber eben auch ein ganz großes Geschäft. Feiertage und Zahltage. Und heute? Heute ist wieder Alltag.

Artikel vom 10.07.2006