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Klinsmann muss erst
seine Gefühlswelt ordnen

Entscheidung über die Zukunft fällt in den USA

Von Klaus Lükewille
Stuttgart (WB). Ein Bussi links, ein Bussi rechts. Angela Merkel ist Jürgen Klinsmanns neue Herzdame. Seine Frau Debbie muss sich aber keine Sorgen machen: Die Beziehung ist rein geschäftlich.

»Ich wollte damit einfach nur danke sagen. Frau Merkel hat die Mannschaft und mich auch schon in schwereren Zeiten unterstützt«, klärte Klinsmann auf. Der Bundestrainer und die Bundeskanzlerin: Ihr Verhältnis begann im März, nach der 1:4-Packung in Florenz gegen Italien. Damals bat Angela Merkel die deutsche WM-Spitze zum Gipfel nach Berlin und machte Klinsmann Mut: »Gehen Sie Ihren Weg weiter.«
Das hatte der ebenso sture wie zielorientierte Schwabe ohnehin vor, der sich noch einmal verneigte: »Frau Merkel war auch während der WM eine sehr angenehme Gesprächspartnerin. Locker, offen, überhaupt nicht politisch ging es zu, als wir bei ihr zum Essen waren. Deshalb bin ich stolz, dass ich sie jetzt kurz drücken durfte.«
Nach der Kanzlerin nahm Klinsmann in Stuttgart auch den Kaiser in die Arme. Franz Beckenbauer forderte ihn beim Glückwunsch zum dritten Platz auf: »Jürgen, mach bloß weiter.« Die Antwort: »Schaun mer mal.« So ist das, so bleibt das noch ein paar Tage. Jetzt schauen sie alle auf Klinsmann. Wie entscheidet sich der Trainer? Bleibt er? Geht er?
Auf jeden Fall fliegt er - nach Hause, nach Kalifornien. »Ich brauche etwas Zeit, um sagen zu können, wie es weitergeht. Ich muss meine Gefühlswelt erst einmal ordnen«, verabschiedete sich Klinsmann in seiner alten Heimat. Jetzt folgt, in aller Ruhe, die Aufarbeitung einer Zeit, die ihn »wahnsinnig stolz« gemacht hat: »Es waren wundervolle Tage. Die Mannschaft hat großartig mitgezogen. Und was sich hier in Stuttgart abgespielt hat, ist phantastisch.«
Ganz oben auf dieser rauschenden WM-Welle schwimmt der Trainer, dessen Philosophie nicht untergehen darf. Klinsmann soll bleiben, das ist klar. Aber will er das auch? Er wird umschmeichelt, er fühlt sich bestätigt - gleichzeitig aber auch bedrängt. Ein Satz rutschte ihm in Stuttgart raus, den man so und genau anders herum interpretieren kann. Der O-Ton: »Ob ich jetzt überhaupt noch aufhören kann, weiß ich nicht.«
War das die Andeutung eines bereits feststehenden Ausstiegs - oder der Entschluss zum Weitermachen? »Wir haben hier in zwei Jahren viel aufgebaut«, sagte Klinsmann rückblickend. Aber der ganz große Wurf ist ihm nicht gelungen. Nur daran misst er sich selbst. »Klar, ich bin happy«, sagte der Bundestrainer nach dem 3:1 gegen Portugal. Doch so richtig glücklich sah er dabei nicht aus. Denn Klinsmann wollte Weltmeister werden - und nicht Dritter.

Artikel vom 10.07.2006