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Nur ein kleiner Weltmeister

Deutsche Kicker feiern den dritten Platz - Jetzt heißt es: runterkommen

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Tun wir so, als ob. Deutschland ist Fußballweltmeister. Muss denn überhaupt einer auf den Titel verzichten, dem sieben Spiele gelingen und nur ein paar lumpige Sekunden nicht? Vergessen wir die 119. Minute gegen Italien. Streichen wir das Verhängnisvolle aus der Erinnerung.
Torschützenkönig: Miroslav Klose erzielte fünf WM-Tore. Foto: dpa

Schöner Versuch. Und vielleicht haben das auch ein paar Spieler nach dem 3:1 in der Partie um Platz 3 gegen Portugal probiert. Nur wollte es ihnen nicht so recht gelingen. Jedenfalls nicht auf Anhieb. Auch Lukas Podolski, von Haus aus eine Kölner Frohnatur, setzte die Trauerarbeit kurz fort: »Zuerst habe ich an unser Ausscheiden gedacht und wie bitter es immer noch ist.«
Denn sie wussten, was sie gerade getan hatten. Auch mit dem letzten Aufgebot ein so schmissiges Spiel abgeliefert, dass es fast doppelt weh tat, dafür den falschen Termin erwischt zu haben. Wer das kleine Finale gewinnt, kann auch nur kleiner Weltmeister werden. Großer Weltmeister der Herzen dürfen sich die Deutschen trotzdem nennen. Und darum verbreiteten die Fans per Gesang eine amtliche Unwahrheit: »Stuttgart ist viel schöner als Berlin.«
Mit wieviel Dampf die Mannschaft auch in ihre siebte und letzte Begegnung ging, war kaum zu glauben. Dabei hatten sich nach Michael Ballack, Per Mertesacker und Arne Friedrich auch Tim Borowski und kurz vor Anpfiff Robert Huth verletzt abgemeldet. Das gab Bundestrainer Jürgen Klinsmann die Gelegenheit zum Lückenschluss: Jens Nowotny, Mike Hanke und Thomas Hitzlsperger kamen noch zu ihrem WM-Debüt.
Alle zusammen gingen danach in die Verlängerung. »Feierabend« im kleinen Finale. Im Gottlieb-Daimler-Stadion erloschen die Lichter, Knall auf Fall erleuchtete ein Feuerwerk den Himmel. Und nach Hause wollte niemand mehr. WM für immer. Sogar ein Fußball-Fahrensmann wie Oliver Kahn wurde von der ungewohnten Beziehung, die sich während der WM zwischen Rang und Rasen entwickelte, vollkommen umgehauen: »Wir haben den Menschen viel gegeben und die Menschen uns. Das war eine phantastische Zeit. Es wird Wochen oder Monate dauern, um das alles hier zu verarbeiten oder überhaupt zu verstehen.«
Auch David Odonkor war überwältigt. Er schnappte sich die Deutschland-Fahne und führte die Mannschaft wedelnd auf die Ehrenrunde, begleitet von Lichterglanz und Böllerschüssen. »Die letzten Wochen waren unglaublich für mich. Ich wollte nur noch meine Freude rauslassen, die Freude, dass ich dabei sein durfte.«
Wer wem um den Hals fiel, ließ sich am Ende nicht mehr überblicken. Alle hatten sich so lieb, dass sich Platz 3 zumindest in Party-Platz 1 verwandelte. Ob dieses WM-Ereignis jemals wiederholbar ist, schlossen jene aus, die es miterlebten. Nicht aber den echten Triumph. »In vier Jahren werden wir auch eine sehr gute Mannschaft haben«, versprach Podolski. »Und dann greifen wir wieder an.«
Jetzt ist erst einmal Runterkommen angesagt. »Wir werden in ein Loch fallen«, prophezeite Jens Lehmann einen Absturz aus dem emotionalen Hochgebirge. Auch Miroslav Klose hat Manschetten vor dem besonders Alltäglichen im Alltag: »Wenn ich nur ans Laufen denke, an Laktattest und all diese Sachen . . .« In seinem Fall fürchtet er sich auch davor, dass der verdiente Familienurlaub nur von eingeschränktem Erholungswert für einen müden WM-Mann sein könnte. Der Doppel-Papi stöhnt schon: »Bei kleinen Zwillingen ist nicht viel mit Entspannung.«

Artikel vom 10.07.2006