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Kahn geht überwältigt

Die Nummer 2 verabschiedet sich nach Klassespiel

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Stuttgart (WB). Wie ein Staatspräsident stand er da. Es war sein letztes Hurra. »Ich habe alles erlebt, ich habe alles gesehen«, verkündete Oliver Kahn, und da hatte sich schon herumgesprochen, dass der 37-jährige Torhüter nie mehr einen Ball im Auftrage Deutschlands meistern wird.

Der große King Kahn hielt noch einmal hof, er lächelte mild. Hier hatte ein oft verbissener Ehrgeizling vom Frieden mit sich selbst zu berichten, um den er in seiner Karriere mehr als einmal heftig mit sich gerungen hatte. Nach seinem ganz starken 87. Länderspiel, dem 3:1 gegen Portugal, spürte er endlich, wie Ruhe einkehrte: »Ich bin zufrieden, ich bin im Reinen mit mir selbst.«
Würdevoll fiel sein Abschied aus. »Ein besseres letztes Länderspiel kann es nicht geben«, sagte der Münchener dankbar und auch stolz. Plötzlich wirkte ausgerechnet jener Vul-Kahn, der Gegnern schon mal zeigte, wie der Karnickelgriff geht oder sich bedrohlich ihrem Ohrlappen näherte, wie einer, den nichts mehr erschüttern kann. Kahns Leidensfähigkeit war ja auch zu Genüge geschult worden: Bundestrainer Jürgen Klinsmann hatte den Monolithen im deutschen Gehäuse zerbröselt, als er ihn für die WM durch Jens Lehmann ersetzte. Eine »schmerzliche Geschichte« sei das gewesen, »mit die härteste Zeit meiner Laufbahn«, sagte Kahn.
Es dauerte eine Weile, bis sich der Gekränkte dazu durchrang, aus seiner eigenen Verletzlickeit etwas Vorbildliches zu formen. Er entschied sich dafür, bei der WM zum »Torvater Kahn« zu werden. Kahn trat als Ansprechstation der Jungen, als Motivator der Mannschaft auf, zuständig sogar für gute Unterhaltung. Auch das Verhältnis zu Lehmann entspannte sich. Zum Abholen der Bronzemedaille traten sie Seite an Seite an. »Diese WM hat Jens und mir viele Emotionen und Erlebnisse gebracht. Es wäre schade gewesen, wenn man auseinandergeht und die Dinge immer noch so wären, wie sie vorher waren.«
Den Entschluss, dass Ende ist, hatte Kahn schon vor Tagen gefasst. »Ich weiß: Dino Zoff ist noch mit 40 Weltmeister geworden. Ich glaube aber, so was geht heute nicht mehr. Der Fußball hat sich verändert, es ist mir auch zu anstrengend«, sagte Kahn zum Ausstand. Allerdings fühlt er sich auch noch nicht so der biologischen Torwart-Uhr ausgeliefert, um gleich den Komplettabgang zu vollziehen: »Ich werde mich jetzt noch zwei Jahre lang auf meine Ziele mit dem FC Bayern konzentrieren.« Denn der wahre Kahn steht immer noch am liebsten im Tor und nicht dahinter.
Den Sympathiepreis eroberte er allerdings erst als zweiter Mann. Es ehrt ihn, es freut ihn, es zeigt den anderen Kahn und gibt ihm das Gefühl, »dass nicht alles so verkehrt gewesen sein kann«.

Artikel vom 10.07.2006