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Schlafmittel
fördern Sucht

Ärzte warnen vor Benzodiazepin

Von Dietmar Kemper
Bad Lippspringe (WB). Schlafmittel können abhängig machen. Ärzte, Apotheker, Betriebskrankenkassen und Suchtexperten in Westfalen warnen vor Medikamenten mit dem Wirkstoff Benzodiazepin.

Am Montag starten sie die Aufklärungskampagne »Schlafstörungen: Medikamentenmissbrauch und -abhängigkeit verhindern«. Neben der engeren Zusammenarbeit zwischen den Partnern der Aktion sind eine Info-Hotline und mehr Entspannungskurse für Patienten geplant. Von Arzneien mit Benzodiazepin kommen 1,1 Millionen Menschen in Deutschland nicht mehr los, berichtete die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) in Hamm. Benzodiazepin sei für den kurzfristigen Einsatz geeignet, sagte der Sprecher der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Michael Schmitz.
Es beruhige Menschen, denen die Nachricht vom Tod eines Angehörigen überbracht wurde (reaktive Schlaflosigkeit). Außerdem verwenden Narkoseärzte »Benzos«.
Wer diesen Wirkstoff länger als 14 Tage konsumiert, läuft Gefahr, davon abhängig zu werden. Etwa jeder fünfte Deutsche nimmt Schlafmittel; 4,5 Millionen Frauen und Männer haben seit längerem Probleme, die Augen zuzubekommen. Deshalb sind Ärzte- und Apothekerschaft darüber beunruhigt, dass immer mehr Menschen zu Medikamenten mit Benzodiazepin greifen. Kommt ein Patient zum wiederholten Male mit demselben Rezept, müssen die Apotheker laut ihrer Betriebsordnung mit dem Arzt Kontakt aufnehmen. »Leider fallen viele Abhängige nicht auf, weil sie jedes Mal zu einer anderen Apotheke gehen«, bedauert Michael Schmitz.
»Benzos« sorgen zwar dafür, dass die Augen schnell zufallen, aber sie verschlechtern die Schlafstruktur und mindern den Erholungseffekt, mahnt der Oberarzt der Karl-Hansen-Klinik in Bad Lippspringe (Kreis Paderborn), Günter Freudenberg. Er betreut die Patienten im Schlaflabor. Der Entzug von Benzos gestalte sich extrem langwierig: »Wer sie zehn Jahre lang eingenommen hat, braucht zehn Monate, um sie langsam wieder abzubauen.«
Im Kampf gegen Schlaflosigkeit rät Freudenberg seinen Patienten, die Liegedauer im Bett zu reduzieren, Rituale wie den Abendspaziergang zu pflegen, ein Schlaftagebuch zu führen oder das Zimmer zu verlassen und bei gedämpftem Licht zu lesen, damit natürliche Schlafimpulse entstehen können. Freudenberg: »Diese Hilfsmittel führen in 90 Prozent der Fälle zu normalem Schlaf.« Dadurch sinke das Risiko, wegen Übermüdung Verkehrsunfälle zu verursachen.

Artikel vom 08.07.2006