08.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


In der Zeit der Richter (WB, 17.06.2006) ist eine kleine biblische Novelle angesiedelt: das Büchlein Ruth. Es erzählt von einer israelitischen Familie mit zwei Söhnen, die aufgrund einer Hungersnot ihre Heimat verläßt, um im Land der Moabiter, östlich des Toten Meeres, ihr Auskommen zu suchen. Doch statt des Glücks wartet dort der Tod. Zuerst stirbt der Ehemann und Vater. Einige Jahre später, nachdem sie einheimische Frauen geheiratet hatten, werden auch die beiden Söhne dahingerafft. Übrig bleibt eine ältere Witwe, Noomi geheißen, mit ihren beiden bereits ebenfalls verwitweten Schwiegertöchtern.
Kann so etwas gutgehen? Noomi hat da ihre Bedenken. Ihr selbst ist es in der Fremde nicht mehr geheuer, und es zieht sie zurück. Die jüngeren Frauen aber will sie nicht länger au sich selbst und an ihr trauriges Los binden und rät ihnen, die das Leben noch vor sich haben, wieder zu heiraten. Die eine von ihnen sieht das bald ein; die andere aber, Ruth, weicht nicht von ihrer Seite und will bei ihr bleiben, was immer auch kommen mag.
Es ist zu einem geflügelten Wort geworden, womit Ruth der Schwiegermutter ihre Absicht, wenn auch recht pathetisch, so doch ehrlich erklärt: »Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden« (Ruth 1, 16.17). Diese Aussage, die mit einer Eheschließung eigentlich nichts zu tun hat, wird übrigens - wie so manches aus dem Zusammenhang gerissene Bibelzitat - immer wieder gern als Trauspruch gewählt.
Doch zurück zu dem ungleichen Gespann: In der alten, beziehungsweise neuen Heimat angekommen, finden beide zunächst nur ein karges Dasein. Um nicht zu verhungern, erlaubt ihnen das Armenrecht jedoch immerhin, nach der Ernte die Ähren aufzusammeln, die beim regulären Schnitt liegengeblieben sind. Das übernimmt Ruth mit Eifer und Fleiß, und wie es das Glück im Unglück will, trifft sie dabei auf einen Gutsherrn, der ihr wohlgesonnen ist. Er gibt Anweisungen, dafür zu sorgen, daß ihre Ausbeute nicht zu knapp ausfällt und läßt sie darüber hinaus auch an den Mahlzeiten seiner Belegschaft teilnehmen. Die junge Frau imponiert ihm, und außerdem beeindruckt ihn, wie sie für ihre Schwiegermutter sorgt.
Als sie das hört, wittert Noomi Morgenluft. Wie der großzügige Herr denn heiße, will sie wissen, und als sie seinen Namen, Boas, erfährt, beginnt ihr Herz vor Freude zu hüpfen. Denn vermutlich gehört Boas zur Sippe, und daraus könnte sich die Pflicht ergeben, die kinderlos gebliebene Witwe seines verstorbenen Verwandten zur Frau zu nehmen. Corriger la fortune, heißt da die Devise. Dem Glück muß man unter Umständen etwas auf die Sprünge helfen.
Augenzwinkernd berichtet die Erzählung, wie die Alte der Jungen dann empfiehlt, ein Bad zu nehmen, ihr Sonntagskleid anzuziehen und von Kosmetika und Wohlgerüchen einen zwar unaufdringlichen aber nicht zu sparsamen Gebrauch zu machen. So soll sie sich nachts nach der Arbeit in der Tenne zu seinen Füßen legen. Der frivole Plan geht auf. Boas fängt Feuer, und nachdem er sich vergewissern konnte, daß kein anderer Verwandter ein Anrecht auf Ruth geltend machen könnte, wird die Hochzeit gefeiert.
Obwohl diese Geschichte in der Bibel steht, spricht sie nicht direkt von einem Handeln Gottes. Gott wirkt eben meistens im verborgenen und nicht durch sensationelle Wundertaten. Und doch ist es nicht allein damit getan, daß Menschen bestimmte Gelegenheiten beim Schopf ergreifen. Solche Gelegenheiten müssen sich erst einmal ergeben; zudem werden sie einem gegeben und sind nicht selbstgemacht. Auf den anderen Seite können aber auch - wie bei Ruth - in den Belastungen und auf den Durststrecken des Daseins positive Möglichkeiten schlummern - längst bevor sie einer bemerkt hat.
Durch ihre Heirat - so der Schluß - wird Ruth, eine Ausländerin, sogar zur Vorfahrin des Königs David. Denn das gehört ebenfalls zum verborgenen Wirken Gottes: An menschliche Schranken und Grenzen ist er nicht gebunden. Gott denkt und handelt universal.

Artikel vom 08.07.2006