07.07.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Mit wohldosierten Spitzen vom
Schmusekurs zum Schmähkurs

Empörung über »stinkende Fische« - Reform im Bundestag nachbessern

Von Reinhard Brockmann
Berlin (WB). »Der Fisch stinkt immer vom Kopf her«: SPD-Leitwolf Johannes Kahrs ließ gestern im Koalitionskrach um Angela Merkels Führungsfähigkeit die Fetzen fliegen. Die liberale Opposition dagegen stapelte tief: »Die Bereitschaft zur Eskalation ist erkennbar.«
Der Haussegen hängt schief in der großen Koalition, seit die Eckdaten zur Gesundheitsreform auf dem Tisch liegen. SPD-Chef Kurt Beck (mitte) sieht Angela Merkel (r.) »eingemauert« zwischen Unions-Ministerpräsidenten wie Edmund Stoiber (2.v.l). Ganz links, ein wenig außerhalb des jüngsten Hauskrachs, beobachtet Gesundheitsministerin Ulla Schmidt den ungesunden Streit um die bessere Gesundheit der Deutschen.

So ungesund war das Koalitionsklima noch nie wie seit dem Kompromiss zur Gesundheitsreform, der »etwa 0,5 Prozent« (Merkel) höhere Kassenbeiträge bringt. Die der SPD zugesagte Finanzierung über Steuern findet ebenso wenig statt, wie die Krankenversicherung vom Faktor Arbeit entkoppelt wird, obwohl Merkel genau das erklärt hatte.
Reinhard Göhner (Kirchlengern) spricht von »Täuschung«, wenn die »Entkoppelung« behauptet werde. Inhaltlich laufe derzeit vieles »in die falsche Richtung wegen falscher Weichenstellung im Koalitionsvertrag«. Der Bundestag müsse nachbessern. Schon tritt CDU-Vize Wolfgang Bosbach nach Kräften auf die Bremse: »Die Bevölkerung will, dass die Koalition arbeitet, und nicht, dass wir übereinander herfallen.«
Eine dramatische Eskalation bei der Wende vom Schmuse- zum Schmähkurs zwischen den Spitzenleuten der großen Koalition machen die Strategen im Hauptquartier der FDP in Berlin aus. Die unmissverständliche Zurückweisung der Merkel-Bemerkung von »Sanierungsfall« Deutschland sei noch als »Pflichtübung« registriert worden, heißt es von dort.
Als Peter Struck (SPD) Ende Mai an Gerhard Schröder als den »besseren Kanzler« erinnerte, wurde erstmals aufgehorcht. Die Spirale spitzer Bemerkungen drehte sich wohl dosiert weiter. Franz Müntefering, derzeit ansonsten eher still, bemerkte: »Es ist schon so, dass in Sachen Führungs- und Gestaltungskraft die Koalition nicht gut aussieht.«
Struck brachte angesichts des Merkel'schen Umschwenkens von Steuer- auf Beitragserhöhung den Vorwurf »Wortbruch« ins Gespräch, ohne den Casus belli selbst auszusprechen: »Das darf nicht oft passieren, das darf eigentlich gar nicht passieren«, grummelte der mächtige rote Fraktionschef - und alle hatten verstanden. Ganz besonders Andrea Nahles, als Sprecherin der Fraktionslinken sonst gern auf Contra-Kurs, warf Merkel ungeschminkt »Wortbuch« vor.
Johannes Kahrs, Sprecher des eher konservativen Seeheimer Kreises, konnte da nicht zurückstehen. Er übte die ganz große Koalition innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion und setzte noch einen drauf: Die Kanzlerin werde immer mehr zum Problem, sagte er und ließ über Radio Berlin-Brandenburg am frühen Donnerstagmorgen die Blitze zucken, dass es in der hochsommerlichen Hauptstadt nur so krachte: »Der Fisch stinkt zuerst vom Kopf her«. Unanständig sei es, wenn die Kanzlerin kippe, kaum dass einige Ministerpräsidenten pfiffen.
Damit war Kahrs auch manchen Genossen entschieden zu weit gegangen. »Das ist nicht in Ordnung«, sagte Ute Berg, SPD-Vorstandsfrau aus Paderborn, die »solch drastische Formulierungen« aus der Politik heraushalten will. Als Moderatorin habe Merkel sich durchaus bewährt, als Entscheiderin drohe sie aber beim bislang wichtigsten Thema zerrieben zu werden. Es sei »fatal«, die Kassenbeiträge nach oben zu drücken und zugleich Ministerpräsidenten zu folgen, zwischen denen die Kanzlerin laut Kurt Beck »eingemauert« ist.
Berg weiß, dass die Zusammenarbeit mit der Union durchaus funktionieren kann. Im kleinen erlebt sie das mit Heinz Riesenhuber (CSU), der gleichfalls Berichterstatter für Technologie im Fachausschuss ist. »Wir kommen zurecht«. Die Paderbornerin rät der Kanzlerin, man könne nicht oft zurückrudern. »Das macht der Koalitionspartner auf Dauer nicht mit und dann wäre die Blockade da.«
Mehr als die miese Stimmung sorgen CDU-Mann Göhner die Inhalte. Erklärte Politik der Union war, die Lohnzusatzkosten abzusenken und die Sozialbeiträge unter 40 Prozent zu drücken. Maßlos enttäuscht zeigt er sich jetzt.
Von alledem, was Göhner und andere Vordenker schon in der Herzog-Kommission als neue Linie erarbeitet hatten, finde sich nichts wieder. »Wir erhöhen Lohnkosten drastisch, weil auf der Ausgabenseite keine Strukturreformen erfolgen.« Grundlegende Korrekturen seien fällig. Schon bald werde sich zeigen, dass die Kalkulationsgrundlagen der Reformrechnung nicht aufgingen. Die erforderlichen drei Milliarden Euro zur Entschuldung der Kassen bis Ende 2007 würden wohl kaum zusammenkommen.
Eine »Täuschung« nennt Göhner auch die Darstellung, wonach die Steuerfinanzierung der Versicherung der Kinder zunehme. Im Gegenteil: Nach heute 4,2 Milliarden aus der Tabaksteuer würden 2008 gerade 1,5 Milliarden an Steuergeldern ins System gegeben. Göhner: »Wir müssen ehrlich mit den Bürgern umgehen«.

Artikel vom 07.07.2006