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Zehn Operationen verschoben

75 Ärzte des Klinikums Herford für dreieinhalb Stunden im Warnstreik

Von Christian Althoff und
Jörn Hannemann (Fotos)
Herford (WB). Der Schilddrüseneingriff musste warten, auch die Hüftgelenks-OP war auf den Nachmittag verlegt worden: Am Kreisklinikum Herford sind gestern 75 Ärzte in einen dreieinhalbstündigen Warnstreik getreten - der erste Arbeitskampf an einem Krankenhaus in Ostwestfalen-Lippe.
»Die Ärzte haben zu wenig Zeit für uns Patienten«, sagt Christiane Schössler.Iris Rodenberg ist Anästhesistin im Klinikum.

Vor dem Haupteingang des 712-Betten-Hauses hat Chirurgin Dr. Frauke Meyer eine Wäscheleine gespannt, an der sie demonstrativ 17 Formulare aufgehängt hat. »Die muss ich alle ausfüllen, wenn ich einem Unfallopfer nach einem Bruch zwei Schrauben aus dem Knochen entferne«, erklärt sie. Der Eingriff dauere im günstigsten Fall zehn Minuten, die Büroarbeit viermal so lange. »Ich bin doch nicht Ärztin geworden, um am Schreibtisch zu sitzen!«
Es ist aber nicht nur die Verbitterung über ausufernde Bürokratie, die die Mediziner an diesem Morgen dreieinhalb Stunden streiken lässt. Es geht auch um Arbeitszeit und Geld. »Ein Assistenzarzt, der sechs Jahre Studium hinter sich hat, kommt im dritten Berufsjahr auf 2500 Euro netto - bei 48 bis 54 Stunden Dienst«, kritisiert Dr. Hans-Ulrich Schröder, Oberarzt in der Unfallchirurgie. Er ist Mitglied im Landesvorstand der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, die den Warnstreik organisiert hat. Da an diesem Vormittag zwischen 9 und 12.30 Uhr 75 der 155 Ärzte des Herforder Klinikums im Ausstand sind, kann nur in zwei der acht Operationssäle gearbeitet werden. In einem stehen zwei Chefärzte am Tisch, die nicht streiken dürfen, im zweiten OP retten Mediziner gerade einen Patienten mit Darmverschluss. »Denn die Notfallversorgung halten wir während des Warnstreiks aufrecht, und auch die Kinderklinik bleibt vom Arbeitskampf verschont«, versichert Dr. Schröder. Zehn planbare Operationen von Erwachsenen mussten allerdings um Stunden oder Tage verschoben werden.
Sieben Stockwerke über den Streikenden liegt Lena Haß in Zimmer 712 und erholt sich von einer Krebs-OP. »Ich habe volles Verständnis für die Ärzte. Es ist unglaublich, was die leisten, und deshalb sollten sie auch entsprechend bezahlt werden«, sagt die Patientin. Das Geld dafür, so meint sie, lasse sich an anderen Stellen sparen: »Manche Leute bekommen alle zwei Jahre eine Kur. Das muss doch nicht sein, oder?«
Auch ihre Bettnachbarin Christiane Schössler, die eine Gallenoperation hinter sich hat, findet den Arbeitskampf in Ordnung: »Die Ärzte sind einem solchen Stress ausgesetzt - die hetzen hier so schnell rein und raus, dass ich gar nicht wage, sie etwas zu fragen!«, sagt die Bad Salzuflerin.
Diese Erfahrung bestätigt Anästhesistin Dr. Iris Rodenberg, die unter vor dem Haupteingang ein Plakat mit den Forderungen der Ärzte in die Höhe hält. »Die Menschen werden immer älter und haben wegen ihrer damit auch längeren Krankengeschichte sehr viele Fragen an uns. Sie wollen etwas loswerden, aber ich sitze in solchen Patientengesprächen auf heißen Kohlen und habe einfach nicht die Zeit, die ich mir gerne nähme«, sagt die Anästhesistin. Sie arbeite bereits 60 Stunden in der Woche, und mehr gehe auf Dauer einfach nicht. »Denn ich merke, wie die Arbeit an meiner Substanz nagt - obwohl ich erst 40 Jahre alt bin.«www.marburger-bund.de

Artikel vom 07.07.2006