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Üben macht Musiker krank

»Tennis-Arme« und Sehnenscheidenentzündungen sind weit verbreitet

Von Dietmar Kemper
Bad Oeynhausen (WB). Übung macht den Meister. Aber stundenlanges Üben macht Streicher, Pianisten und Gitarristen immer öfter krank. »Wir haben bei Musikern erschreckend viele Überlastungsbeschwerden festgestellt«, sagte Maria Schuppert dieser Zeitung. Die 45-Jährige ist Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin (DGfMM) in Bad Oeynhausen.
Maria Schuppert: Nach 45 Minuten Pause einlegen.

An der Musikhochschule Detmold und am Konservatorium in Osnabrück klärt sie über Gesundheitsgefahren beim Musizieren auf. Die Beschwerderate angehender Instrumentalisten liege über der von Sportstudenten. Schuppert empfiehlt, nicht länger als 45 Minuten am Stück zu spielen. »Musiker neigen dazu, so lange zu spielen, bis sie müde sind und es nicht mehr geht.«
Gerade vor Abschlussprüfungen würden Sehnen und Muskulatur überstrapaziert. Tennis-Arme, Rücken- und Nackenschmerzen, angeschwollene Handgelenke sind die Folge. Im Alter von 30 Jahren breche die Krankheit häufig aus. Mediziner sprechen von »muskulärer Dysbalance«. Schuppert erklärt: »In diesem Alter kann der Körper nicht mehr kompensieren, die Energievorräte der Muskeln laufen auf Grund.« Im schlimmsten Fall droht das Ende der Karriere. Acht Prozent der Musiker erleiden nach Einschätzung von Experten so schwere Gesundheitsstörungen, dass sie nicht mehr weiterspielen können. Zumindest zeitweise erkranken angeblich zwei von drei Musikern.
11 000 Berufsmusiker in Deutschland verdienen in Sinfonie- und Theaterorchestern ihren Lebensunterhalt, 35 680 Berufsmusiker sind im Musikschul- und Hochschulbereich beschäftigt. 25 900 junge Menschen erlernen als Studenten ein Instrument oder üben sich im Gesang. In der Musikhochschule Detmold sind es 630. »Wenn sie erkranken, können sie ein Urlaubssemester beantragen«, berichtet der Leiter des Prüfungsamtes und Studentensekretariats, Rainer Peters. In der heißen Phase vor Prüfungen werde manchmal so intensiv geübt, dass sich die Streicher und Pianisten Sehnenscheidenentzündungen einhandeln. »In dem Fall kann die Prüfung verschoben werden«, sagt Peters.
Nicht ohne Grund unterrichtet Maria Schuppert in Detmold, wie Bewegungsabläufe besser koordiniert und ungünstige Haltungen vermieden werden. »Instrumentalspiel geht immer mit Zwangshaltungen einher«, betont sie. Stundenlanges Ausharren an einer Stelle und das Vornüberbeugen beim Musizieren strapazierten den Bewegungsapparat. Wenn der Körper streikt, werden Stützverbände, Salben und Krankengymnastik eingesetzt. Schuppert empfiehlt den Musikern, regelmäßig Sport zu treiben und Dehnübungen zu absolvieren. Das gelte vor allem für Frauen, die im Vergleich zu Männern 10 bis 15 Prozent mehr Überlastungsreaktionen zeigen.
Musiker üben nicht selten sechs Stunden jeden Tag: immer wieder dieselben Tonfolgen mit den gleichen monotonen Bewegungen. Wenn die rechte Schulter schmerzt, spielen sie oft trotzdem weiter. »Krankheiten treffen nicht jeden, aber sie sind unter Musikern ein echtes Problem«, weiß Heiner Gembris vom Institut für Begabungsforschung in der Musik an der Uni Paderborn. Dort findet vom 22. bis 24. September der Kongress »Musikkultur, Gesundheit und Beruf« statt. Eingeladen sind zwei Musikmediziner, die über ihre Erfahrungen berichten.

Artikel vom 10.07.2006