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»Les bleus« pfeifen auf
die Rattenfängerstadt

Equipe Tricolore zeigt sich nicht und zieht keine Fans

Aerzen(WB/o.k./dpa). In Champagner-Laune ist die »Equipe Tricolore« nur in ihrer noblen Festung. Im Schlosshotel Münchhausen schlürfen Zinedine Zidane und Co. nach Siegen wie im WM-Halbfinale gegen Portugal schon mal ein edles Tröpfchen - ansonsten schirmt sich Frankreichs Team hermetisch ab. »Stars zum Anfassen« sind die WM-Finalisten nicht.

In Aerzen und auch in Hameln hat sich die Mannschaft bisher kaum blicken lassen. Fanmassen sind in der Rattenfänger-Stadt, in der das Team seine Pressekonferenzen abhält, eine unerfüllte Hoffnung geblieben. Für Aufsehen sorgte nur der Transport dorthin: Drei Motorrad-Polizisten und zwei Streifenwagen eskortieren zwei abgedunkelte Mercedestransporter auf den acht Kilometern in die Rattenfänger-Halle.
»Wir hatten uns mehr Touristen aus Frankreich erhofft«, sagt Marketingsprecher Frank Lücke. Auch Ulrich Steubner ist ein wenig enttäuscht. Er steht mit einem alten, in den französischen Farben blau-weiß-rot angestrichenen Citroën-Wellblechbus in der Altstadt, verkauft Crêpes und Flammkuchen und serviert französischen Milchkaffee. »Das Geschäft ist durchwachsen«, sagt er. »Hier spürt man leider keine Frankreich-Euphorie.«
Auch in den Schaufenstern der Geschäfte liegen vor allem schwarz-rot-goldene Fahnen - blau-weiß-rot hängt nur vereinzelt an den renovierten Fachwerkhäusern der Altstadt. »Wir haben salomonisch beide Fahnen rausgehängt«, sagt Gabriele Baß vom Museumscafé - der guten Stube in der Rattenfängerstadt. Das Interieur ist mit Girlanden und etwa ein Meter hohen Papp-Eiffeltürmen geschmückt. Sogar eine französische Speisekarte habe sie kreiert, sagt Baß. »Wir wollen uns als guter Gastgeber erweisen.« Bislang jedoch haben nur wenige Franzosen davon bestellt.
In Aerzen ist die französische Mannschaft eigentlich ganz nah - hier liegt, irgendwo im niedersäsischen Nirgendwo zwischen Feldern und wenigen Bauernhäusern, das Quartier der »Equipe Tricolore«. Von französischer Lebensart ist in dem Ort aber so wenig zu spüren wie in Hameln. Die Mannschaft bleibt überwiegend im Hotel und trainiert am liebsten nicht-öffentlich. Nur drei Mal übte sie es im Weserbergland-Stadion.
»Das ist aus Fan-Sicht schade«, sagt WM-Organisator Andreas Wittrock von der Gemeindeverwaltung. Aus sportlicher Sicht sei das aber nachvollziehbar. »Die Franzosen haben sich hauptsächlich auf die Spiele vorbereitet. Der Erfolg gibt ihnen Recht.«
Mit 10 000 französischen Dauer-Fans hatte der 12 000-Einwohner-Ort Aerzen vor der WM gerechnet - diese Prognose hatte der französische Fußballverband gestellt. Doch »les bleus« sorgten nur für einen Blues. Denn in der Realität tummelten sich aber nicht mehr als ein paar hundert Anhänger der Franzosen in der Quartier-Gemeinde. Auch vor dem Hotel blieb es ruhig.
In dem Renaissance-Schloss, umgeben von Wassergraben, Parkanlage und Golfplätz, wird das Team als »absolut pflegeleicht« beschrieben. Hoteldirektor Karsten Wierig ist von seinen Gästen mehr als angetan. »Die Franzosen haben überhaupt keine Star-Allüren.« Die Truppe von Trainer Raymond Domenech mache einen sehr disziplinierten, konzentrierten und motivierten Eindruck. Seit der Ankunft vor vier Wochen habe man gespürt, wie die Mannschaft zusammengerückt sei.

Artikel vom 08.07.2006