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Verbeugung vor dem
gestürzten Tor-Titanen

Jens Lehmann lässt morgen Oliver Kahn in den Kasten

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Berlin (WB). Jetzt naht die Zeit für Geschenke. Ein gutes Zeichen ist das zuerst einmal nicht. Jens Lehmann räumt seinen Torwartplatz für Oliver Kahn. Das macht man nur nach einer schlechten Leistung oder weil es um nicht mehr sonderlich viel geht.

In diesem Fall trifft Punkt 2 zu. Lehmann hielt im Halbfinale gegen Italien großartig. Die bittere »Belohnung« ist das Spiel um Platz 3 morgen gegen Portugal. Immerhin bietet es eine gute Gelegenheit, eine noch ganz frische Männerfreundschaft zu fördern.
Oliver Kahn, vor der WM ausgebooteter Stammfänger der Deutschen, darf die Partie um Bronze bestreiten. Lehmanns Segen bekam er bereits gestern. »Wie auch immer die Trainer entscheiden: Wenn er spielen will, hat er das auch verdient. Oliver hat sich immer vorbildlich verhalten, auch mir gegenüber. Es gab da ein paar schöne Gesten.«
Vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien fuhr Kahn seinem Nachfolger aufmunternd durch die Frisur, nach dem Aus gegen Italien kam er zum Tränentrocknen in den Strafraum. Es sieht danach aus, als fänden zwei zueinander, die sich sonst aus dem Weg gegangen sind. Oder bekämpft haben.
Das WM-Erlebnis verbindet. Außerdem geht es um Traditionspflege. Beim Spiel um Platz 3 stand immer die Nummer 2 im Tor. Zuletzt war das 1970 in Mexiko der Fall, als Horst Wolter Sepp Maier vertrat. »Ich glaube, für Oliver wäre das Spiel um Platz 3 ein versöhnlicher Abschluss«, sagt Lehmann.
Wobei jetzt nicht ganz klar ist, wie er das wohl meint. Kahn hat bisher nicht seinen Rücktritt nach der Weltmeisterschaft erklärt, obwohl das mit 37 Jahren und nach mittlerweile 85 Länderspielen sehr nahe liegt.
Lehmann ist ein Jahr jünger und grübelt ebenfalls noch. Dass die beiden in der Europameisterschaftsqualifikation wieder damit anfangen, aufeinander loszugehen, passiert nicht. Denn auf die deutsche Bank wird sich weder der eine noch der andere jemals wieder setzen.
Was immer die Zukunft bringt: Noch lebt vor allem Jens Lehmann unter dem Eindruck des Vergangenen. »Zwei Tage danach geht es mir noch schlechter. Ich verarbeite weiter, was es heißt, das Finale einer Weltmeisterschaft verpasst zu haben.« Das 0:2 gegen Italien machte den Torwart zu einem traurigen Philosophen: »Ich bin immer noch mit dem ÝWarum?Ü beschäftigt. Ich habe die Antwort noch nicht gefunden. Vielleicht werde ich sie auch nie finden.«

Artikel vom 07.07.2006