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WM 2006 - die letzte
Dienstreise des Kickerkönigs

Gerhard Mayer-Vorfelder gibt die DFB-Kontrolle auch offiziell ab

Von Oliver Kreth
Berlin (WB). Es war ein Intrigantenstadel mit staatstragender Attitüde, jener 38. DFB-Bundestag am 23. Oktober 2004. Billige Machtspiele und ein Damenprogramm. Ein bisschen Friede, keine echte Wahl.

Ein Frage blieb in Osnabrück damals unbeantwortet: Was hätte es dem deutschen Fußball-Ansehen geschadet, wenn ein DFB-Boss Theo Zwanziger und nicht die schwäbische Ich-AG namens Gerhard Mayer-Vorfelder mit weiblichem Anhang in den ersten Reihen der WM-Tribünen gesessen hätte?
Seit diesem Zeitpunkt muss es eine heimliche Palastrevolution im weltgrößten Sportkönigreich gegeben haben oder der oberste Fußball-Funktionär, Ex-Minister, Ex-Angeklagter in Steuerprozessen und Ex-Bundeswehroffizier ist doch noch einsichtig geworden. Denn anders als befürchtet, hielt sich »MV« vornehm zurück. Neben Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Jacques Chirac, Italiens Romano Prodi und »Kaiser« Franz Beckenbauer saß immer der Chef in spe, Theo Zwanziger - derzeit noch nur geschäftsführender DFB-Boss.
Eine Sache hat Gerhard Mayer-Vorfelder aber noch auf seinem selbst erstellten Dienstplan stehen: Jürgen Klinsmann soll Bundestrainer bleiben. Dafür will er sich noch einsetzen, dafür macht er sich stark. Zu hoffen bleibt, dass ihn auch da neue Einsichten einholen. Denn bei der Suche nach dem Rudi-Völler-Erben hatte er den Überblick komplett verloren.
Mayer-Vorfelder und Klinsmann kennen sich bereits aus dessen Amateur- und Profizeit beim VfB Stuttgart. Der DFB-Boss hat dem Bundestrainer eigentlich immer den Rücken gestärkt. Mit der WM geht Mayer-Vorfelders Verantwortung für die Nationalmannschaft beim DFB jetzt zu Ende, deshalb wolle er auch »keinen eingesprungenen Toeloop aufs Glatteis machen«. Trotzdem rät der Ex-Politiker dem Präsidium, das im September zusammen kommen wird, Klinsmanns Vertragsverlängerung voranzutreiben. »Jürgen hat neue Wege eröffnet. Alle Investitionen für die Nationalmannschaft waren gut und richtig. Ich hoffe, dass das Präsidium das auch so sehen wird.«
Nicht nur Mayer-Vorfelder hält Klinsmann »für einen Glücksfall«. »Er ist fähig, das, was er an Optimismus in sich trägt, weiterzugeben«, sagt der DFB-Chef, der den heißen Tipp von Berti Vogts bekommen haben soll, und nimmt Klinsmann auch gleich in die Verantwortung: »Er hat die Verpflichtung, das, was er begonnen hat, fortzuführen.«
Bei den wenigen Auftritten erlebten die Journalisten aber auch den alten »MV«, den Kicker-Sonnenkönig, der Seitenhiebe gegen oder Satiren über seine Person gerne gerichtlich klären lässt. Bei einer Pressekonferenz schaute er plötzlich erstaunt in die Runde. Der 73-Jährige hatte angeblich die Frage, ob der DFB dem Bundestrainer in Zeiten der Kritik nicht genug den Rücken gestärkt hätte, nicht verstanden, und erkundigte sich deshalb bei DFB-Medienchef Harald Stenger, der ihm genau diesen Wortlaut sagte. »Dann hab' ich schon richtig verstanden, ich hab' nur nicht gedacht, dass die Frage so gestellt werden kann«, rüffelte Mayer-Vorfelder den Fragesteller.
So richtig vermissen wird den Kicker-Sonnenkönig nach seiner letzten Dienstreise keiner - auch nicht die sportliche Leitung. Sein Auftritt an der Bank vor dem Spiel gegen Argentinien zauberte eher säuerliche Mienen auf die Gesichter von Oliver Bierhoff, Jogi Löw und selbst bei Jürgen Klinsmann. Aber an diesem Abschied ohne Würde ist nur einer Schuld: MV - der Mann der nur die Macht liebte.

Artikel vom 08.07.2006