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Von Matthias Meyer zur Heyde

Fußball
philosophisch

Der Mythos von der Maschine


Von Lothar Matthäus, wäre er der Sprache mächtig, käme unzweifelhaft die Erkenntnis, dass - leider! -Ê das Elfmeterschießen dem K.o.-System nicht a priori inhärent ist. So also: 0:2, und das Schlimme ist, dass uns das ganze Goetheschillerlessinggesindel jetzt auch nicht mehr weiterhilft. Von irgendwoher jedoch muss Trost kommen, und deswegen fragen wir die Glücklichen, die Karten für die Spiele der deutschen Elf besaßen: Habt ihr gegen Costa Rica, gegen Polen und Ecuador, gegen Schweden und Argentinien dieses komische Geräusch gehört? Dieses »rrrrrrrrrr«?
Es kam von unter dem Rasen. Dort sitzen angeblich bei jedem deutschen Spiel Scharen von Männchen, treten wie die Teufel in die Pedale und erzeugen besagtes Geräusch: »rrrrrrrrrr«. Das soll die »deutsche Maschine« sein. Jorge Valdano jedenfalls, einer der argentinischen Weltmeister von 1986, behauptete kürzlich steif und fest, er habe die deutsche Maschine entdeckt, und in einem Interview beschrieb er auch ihre Funktionsweise.
0:2 gegen Ungarn. Männchen, tretet in die Pedale! Okay, Chef! Rrrrrrrrrr! Endstand 3:2.
0:2 gegen England. Rrrrrrrrrr! Endstand 3:2. Undsoweiter.
Natürlich ist das Quatsch. Halten Sie mich für verrückt, halten Sie mich für übergeschnappt, aber teutscher, Verzeihung, deutscher Siegeswille hat sich niemals aus toter Technik gespeist, sondern schöpft stets aus dem Urgrund der Seele. Der Wiener Schriftsteller A. Bauer hat das Phänomen in einem »pädagogischen Sportroman« geschildert. Titel: »11 Herzen und 1 Schlag«. Zwei deutsche Fußballer lieben dieselbe Frau, und in der Balzzeit geht England 2:0 in Führung. In der Halbzeitpause jedoch öffnet ihnen der Trainer die Augen: Die Dame mag einen anderen.
O wunder! »Sieh, dort stäubt er dahin, der rüstige Jüngling, das Rückgrat hohl aufgerichtet, die Lungen wie in mächtigem Flügelschlag rührend. Die Haare flattern ihm um die Stirn, und kosend fächeln die Lüfte ihm Kühlung.« Nix rrrrrrrrrr! Nie gab es einen liebevoller herausgespielten Endstand von 3:2.
Zum Schluss, aus gegebenem Anlass, muss ich Ihnen noch aus meiner freudlosen Kindheit berichten. Jahrelang bin ich jeden Abend von einem bärtigen Herrn für dumm verkauft worden. Als ich Sandmännchen dann nicht mehr guckte, fing das Fernsehen mit der Übertragung von Deutschland-Italien-Spielen an. 1970. 3:3. Rrr...kracks! Chef, die Maschine ist kaputt. 3:4.
Und am Dienstag wieder derselbe Mist. Aber bevor ich jetzt losflenne, geh ich lieber mal runter in den Keller, meinen »Bravo«-Starschnitt von Gerd Müller suchen. An irgendwas muss der Mensch ja glauben.

Artikel vom 06.07.2006